Lukkas Erbe
Ben, den ich in langen Gesprächen mit seiner Mutter und für wenige Stunden in eigenem Erleben kennen gelernt hatte.
Ich fuhr zur Dienststelle und gab Bescheid, dass ich etliche Überstunden abfeiern wolle, im Notfall aber zur Verfügung stände. Dann machte ich Urlaub auf dem Land. Das konnte mir niemand verbieten. Es konnte auch niemand Einwände erheben, wenn ich alte Bekannte besuchte.
Jakob Schlösser zum Beispiel. Illa von Burg hatte ihm ein Beruhigungsmittel aufgedrängt, weil er nicht wusste, was mit seinem Sohn geschehen war.
«Bruno hat ihm bestimmt nichts getan», sagte Jakob. «Das kann ich mir nicht vorstellen. Er mag ihn wirklich, ist sofort losgefahren, als die Kleine anrief und sagte, was mit ihrer Schwägerin passiert ist und dass sie Ben nirgendwo finden kann. Bis nach Mittag war Bruno allein unterwegs. Er hat ihn bestimmt nur irgendwo gut untergebracht. Und damit sich niemand verplappert, hat er uns erzählt, er wüsste nicht, wo Ben sein könnte.»
Bärbel von Burg zuckte auch nur ratlos mit den Schultern, beteuerte ihren Glauben an Bruno Kleus Zuneigung zu Ben und bestätigte, dass Nicole Rehbach zwei Arzttermine gehabt hatte, um eine Schwangerschaft einzuleiten. «Sie hat mir so Leid getan. Was ist das denn für eine Art, sich auf den Stuhl zu legen? Wie Brunos Kühe, da kommt auch nur der Tierarzt mit der Spritze, und der Bulle steht nebenan.»
Von Andreas und Sabine Lässler hörte ich noch einmal das Gleiche. Andreas verlor auch vorbeugend ein paarSätze über seinen Bruder. Dass Achim eine schlimme Zeit durchgemacht und Nicole monatelang mit nächtlichen Anrufen und Belästigungen terrorisiert habe. Aber dann habe Achim ein paar Gespräche mit einer Therapeutin geführt und sich wieder gefangen. Den Namen der Therapeutin nannte Andreas Lässler nicht. Er sagte auch kein Wort über Bens Therapiestunden.
Die letzten Bemühungen
Nach den unerfreulichen Vorfällen zu Weihnachten musste Miriam Wagner ihre letzte Flucht notgedrungen verschieben. Renate Kleu kam nach Brunos Unfall noch einmal zurück, dachte aber nicht im Traum daran, Ben noch einmal zum Bungalow zu bringen, und machte mit ihrer Weigerung sämtliche Pläne zunichte. Miriam hatte seinem und ihrem Leben noch vor dem Jahreswechsel ein Ende setzen wollen. Nun gab es diese Pause, Zeit zum Nachdenken. Sie wollte nicht mehr nachdenken über die letzten Monate und die Achterbahnfahrt ihrer Gefühle, wollte nur noch ihre Ruhe.
Warum sie Ben unbedingt mit in den Tod nehmen wollte, hätte sie niemandem erklären können, nicht einmal sich selbst. Es gab zu viele und zu verschiedene Gründe. Einer war, sie hatten vieles gemeinsam, vielleicht gehörten sie deshalb zusammen. Beide hatten sie einen Mörder geliebt und ihm vertraut. Beide konnten sie ihrem Leben keinen richtigen Sinn geben, waren nutzlos, überflüssig, meist nur eine Last für andere.
Das war die negative Seite, es gab auch eine positive, die Erinnerung an eine Stunde mit ihm auf der Terrasse. In der Sonne sitzen mit ihm wie irgendeine Frau mit irgendeinemMann, die ihr Leben beide genossen. Ein schöner Mann – wie sie zu Nicole gesagt hatte. Ein junger, starker Mann mit kräftigen Muskeln in einem ärmellosen T-Shirt , mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Und eine Frau, die für wenige Momente erwachsen war, sich der Wahrheit stellen konnte.
Jetzt konnte sie das nicht mehr, weil die Wahrheit etwas in sich barg, das sie nicht eingestehen wollte, etwas Unerreichbares. Eine Romanze in Moll. Sie liebte immer die falschen Männer. Zuerst liebte sie einen Mörder. Dann entdeckte sie plötzlich Gefühle für einen Mann, den eine Frau nicht lieben durfte, weil er immer ein Kind bleiben würde. Manchmal spürte sie das Bedürfnis, ihn zu berühren und von ihm berührt zu werden. Sich in diese muskulösen Arme nehmen zu lassen, sich beschützt zu fühlen von seiner Kraft. Sie wollte den Kopf an seine Schulter legen, eintauchen in seine Welt, in der vielleicht alles einfacher und überschaubarer war.
Und manchmal fühlte sie Eifersucht, wenn sie sah, wie er Nicole anhimmelte. Für sie hatte er solche Blicke nicht. Mit ihr spielte er nur, ließ die Feuerwehr zwischen den Hügeln der Eisenbahnlandschaft auffahren und eine Barbie-Puppe retten, spielte um Leben und Tod, den er nicht als das Ende betrachtete. Dann konnte er doch auch getrost mit ihr sterben und einen neuen Anfang machen.
An einem der ersten Januartage holten Patrizia und Dieter die Sachen ab. Nur das Paneelstück
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