Lukkas Erbe
unmittelbar neben dem Stationszimmer, beide Räume waren durch eine Glasscheibe getrennt, man hatte alles gut im Blick. Ich unterhielt mich mit der Stationsschwester.
«Das arme Ding», sagte die Schwester. «Wenn sie die Augen aufmacht, weint sie. Wir haben Ultraschall gemacht. Da rührte sich nichts mehr.»
Sie zeigte zur Glasscheibe. «Er sitzt seit Stunden bei ihr, hat sie regelrecht in den Schlaf erzählt.»
Dann erwähnte die Schwester, es sei am späten Vormittag schon ein junger Mann da gewesen. Er hätte sich als guter Freund vorgestellt, aber keinen Namen genannt. Eine Beschreibung konnte sie mir bieten. Mitte zwanzig, blond, groß und kräftig, schwarze Lederjacke, Arbeitshände.
«Er war nicht lange bei ihr. Nach ein paar Minuten hat sie ihn weggeschickt. Als er rausging, weinte er.»
Walter Hambloch blieb auch nicht mehr lange. Er musste zum Dienst. Ehe er die Station verließ, entschuldigte er sich, weil er meinte, mich in Schwierigkeiten gebracht zu haben mit dem, was er meinem Kollegen erzählt hatte.
«Nicht der Rede wert», sagte ich. «In Schwierigkeitenbringt man sich meist selbst.» Ich überlegte, ob ich Hambloch auf den Mann ansprechen sollte, den die Krankenschwester erwähnt hatte. Doch dann fiel mir Patrizias Bemerkung wieder ein, dass ihr Bruder früher oft den Telefonstecker herausgezogen hatte, weil Achim Lässler … Groß, blond, kräftig, Mitte zwanzig, die Beschreibung passte.
Es war schon spät, ich fuhr trotzdem noch zum Lässler-Hof. Antonia saß vor dem Fernseher und erledigte Flickarbeiten. Tanja Schlösser und Paul schliefen bereits. Antonia ging mit mir hinauf. Achim lag in seinem Zimmer auf dem Bett, lag einfach nur da und schaute die Zimmerdecke an.
«Es wäre mir lieber, wenn du uns allein lässt, Mama», sagte er.
Antonia blieb. Achim war erkältet, er lutschte die Sorte Hustenbonbons, deren Papierchen bei Rehbachs Garage sichergestellt worden waren. Er zog sie auch mit dem Fingernagel glatt – Angst, Nervosität, Anspannung, vielleicht nur das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Dass die Bonbonpapierchen bei der Garage von ihm stammten, bestritt er nicht eine Sekunde lang.
Antonia weinte: «Wie oft habe ich dich gebeten, die Frau in Ruhe zu lassen?»
«Ich habe ihr nichts getan, Mama», sagte er.
Er gab alles zu, nächtliche Anrufe, Belästigungen, Drohungen. Aber nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt.
«Wann waren Sie zuletzt in Rehbachs Garten?», fragte ich.
Ehe er antwortete, bat er noch einmal: «Geh wieder nach unten, Mama. Ich hab nichts getan, glaub mir.»
«Ich bin auch nicht dienstlich hier», sagte ich.
Da ging Antonia endlich. Achim setzte sich auf und sagte: «An ihrem Geburtstag, in der Nacht. Ich habe eineWeile zugeschaut, wie sie feiern. Als Andreas und Sabine aufgebrochen sind, bin ich auch gegangen.» Für die Tatzeit hatte er kein Alibi, behauptete, im Schweinestall gewesen zu sein. «Meine Mutter wird Ihnen das bestätigen.»
Natürlich, Antonia würde alles bestätigen.
«Ich war in den letzten Wochen immer nur in der Nacht da, nie am Tag, weil sie mich nicht mehr sehen wollte», fuhr er fort. «Sie sagte, wir hatten eine Abmachung, und sie wird ihren Mann nicht verlassen.»
«Das Kind ist von Ihnen», stellte ich fest.
Er nickte nur.
«Seit wann haben Sie ein Verhältnis mit Frau Rehbach?»
«Es war nie ein Verhältnis», murmelte er. «Ich durfte nur mit ihr schlafen. Ihr Mann hat gefragt, wer sich zur Verfügung stellt. Andreas war zweimal mit ihr beim Arzt. Es hat nicht funktioniert. Der Arzt meinte, sie wäre zu verkrampft. Dann wollte Andreas nicht mehr. Uwe wollte von Anfang an nicht.»
«Und Walter Hambloch?», fragte ich.
«Den wollte sie nicht», sagte Achim Lässler und lachte kurz. «Sie meinte, den wird sie nicht mehr los. Da hab ich es ihr angeboten. Für mich war sie … Gott, wie soll ich das erklären? Ein Traum, den man nicht träumen darf. Können Sie sich so eine Frau im Schweinestall vorstellen? Ich nicht. Und ich dachte, wenn sie mich dafür nimmt, vielleicht hab ich so viel Glück wie Bruno. Maria hat auch oft gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Und dann brauchte sie ihn doch wieder.»
Er erzählte stockend, wie es begonnen hatte, das erste Treffen beim Bendchen. Sie kam zu Fuß, hatte Angst, dass jemand sie sah, weil es noch hell war. «Dann haben wir nur im Auto gesessen, es war eine blöde Situation. Ich wollte sie so sehr und konnte nicht. Ihr ging es genauso.Wir haben geredet, auch beim zweiten
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