Lukkas Erbe
Norddeutschland stationiert war und nicht jedes Wochenende Urlaub bekam.
Was mit Vanessa Greven geschehen war, wusste nur ihr Mörder. Leonard Darscheid befolgte zwar die Empfehlung von Miriam Wagner, er meldete der Lohberger Wache das Verschwinden seiner Lebensgefährtin. Es passierte aber genau das, was er befürchtet hatte.
Zwei junge Beamte erschienen, Walter Hambloch und sein Kollege Martin Schlömer. Gemeinsam untersuchten sie den Keller, fanden aber nichts Verdächtiges.
Der große dunkle Fleck vor dem Weinregal war eindeutig kein Blut, die kleinen Flecken an den Wänden wurden ebenfalls für Rotwein gehalten. Die Scherben hatte Leonard Darscheid längst weggeräumt. Und was das Fehlen der Transportdecken betraf, wenn die Außentüren unverriegelt gewesen waren und jeder das Anwesen hatte betreten können, durfte man sich über einen Diebstahl nicht wundern.
Miriam Wagners Hinweis, dass neben Lukka vor zwei Jahren noch ein anderer Mann aktiv gewesen sei, wurde mit einem Lächeln quittiert, das mehr sagte als tausend Worte. Die Polizei hatte keinen Hinweis auf einen zweiten Mann gefunden, und von Miriam Wagner durfte man keine anderen Behauptungen erwarten. Walter Hambloch erkundigte sich, ob Leonard Darscheid wegen der Decken eine Anzeige erstatten wolle. Aber das ersparte der Künstler sich.
Am späten Donnerstagvormittag entdeckte er dann den abgebrochenen Kopf der kleinen Mädchenfigur unter dem Werkzeugschrank. Ihm war etwas aus der Hand gefallen, er musste sich bücken und sah ihn da liegen. Dass auch die winzigen Hände unter der Werkbank lagen, bemerkte er nicht, sie verloren sich zwischen den Holzspänen. Im ersten Moment maß er dem Kopf keineBedeutung bei. Erst nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass Bruno Kleus Schwiegertochter und der große junge Mann seit seiner Rückkehr aus Paris noch nicht im Atelier gewesen waren. Sonst kamen sie mindestens einmal in der Woche, meist sogar zweimal.
Leonard Darscheid vermutete, Vanessa habe der jungen Frau etwas von ihren Plänen erzählt, womöglich sogar den Grund genannt, warum sie sich bei ihm nicht meldete. Als er bei Bruno Kleu anrief und Patrizia ans Telefon ging, erzählte sie ihm eine Geschichte, die durchaus glaubwürdig klang. Ihren letzten Besuch mit Ben im Atelier datierte sie einige Tage vor und behauptete, sie hätten die Figuren abholen wollen, aber Vanessa Greven habe erklärt, sie seien gestohlen worden. Es sei mal aus Versehen die Ateliertür über Nacht aufgeblieben, am nächsten Morgen wären sie alle vier weg gewesen.
Leonard Darscheid überlegte nach dieser Auskunft, ob er die Polizei noch einmal bemühen und doch wenigstens eine Diebstahlsanzeige aufgeben sollte. Aber die kleinen Holzfiguren hatten kaum mehr Wert als die Transportdecken. Und sich noch einmal belächeln lassen, dagegen sprach sein Stolz.
Zu diesem Zeitpunkt wären noch Leben zu retten gewesen. Vielleicht nicht das des nächsten Opfers, aber mit ziemlicher Sicherheit ein Leben, das Patrizia sehr viel bedeutete.
Nur ein Vater
Es war ein Mittwoch im August 96, ein Jahr nach den Morden, nur drei Monate nach dem Tod seiner Mutter, als Bens Leben noch einmal eine dramatische Wendenahm. Das Desaster in der Eisdiele hatte für ihn keine nachteiligen Folgen gehabt. Nur Patrizia hatte sich eine Strafpredigt anhören müssen, weil er tagelang so außer sich gewesen war.
An diesem Mittwoch wies Renate Kleu beim Frühstück darauf hin, dass er dringend zum Friseur müsste. Trude hatte ihm früher immer selbst die Haare geschnitten. Renate konnte das nicht und traute sich auch nicht zu, mit ihm zu fahren. Im Dorf gab es keinen Friseur mehr. Mit Ben in ein Auto zu steigen, war Renate nicht geheuer. Man wusste ja auch nicht, ob er einen Fremden mit einer Schere an sich heranließ, wenn Bruno nicht in der Nähe war.
Am frühen Nachmittag sprach Renate es erneut an. Sie meinte, Ben sei sehr nervös geworden, weil ihm ständig die viel zu langen Haare ins Gesicht fielen. Patrizia bot auf der Stelle an, die Fahrt nach Lohberg zu übernehmen. Sie hatte vor zwei Wochen ihre Führerscheinprüfung bestanden: «Wenn ich das Auto haben darf.»
Das Auto war Brunos BMW, das einzige auf dem Hof, in das Ben freiwillig einstieg. Zu Renates kleinem Corsa und Dieters Golf schüttelte er den Kopf, wie sich schon mehrfach gezeigt hatte.
Dieter war ganz und gar nicht einverstanden, dass Patrizia alleine mit Ben nach Lohberg fuhr. Man durfte nicht übersehen, Ben war ein junger Mann,
Weitere Kostenlose Bücher