Lukkas Erbe
dreiundzwanzig Jahre alt, ein hübsches, ernstes Gesicht, eine Figur wie Herkules, immer ordentlich gekleidet, seit er in ihrem Haushalt lebte. Immer frisch rasiert, neuerdings benutzte er sogar ein Aftershave, weil Bruno das auch tat, und was Bruno tat, musste gut sein.
Dieter hatte die Schmuserei auf dem alten Traktor noch nicht vergessen und wollte kein weiteres Risiko eingehen, Bruno auch nicht. Einen Führerscheinneuling vonknapp einem Meter sechzig Körpergröße mit Ben in einem 520er BMW losschicken, das musste nun wirklich nicht sein.
Die Autofahrten, die Bruno inzwischen mit Ben unternommen hatte, waren zwar ohne unangenehme Zwischenfälle verlaufen. Dafür garantieren, dass Ben nicht mal versuchte, während der Fahrt auszusteigen, oder dass er ins Steuer griff, konnte jedoch niemand.
So führte Bruno ihn kurz nach drei zum Wagen. Die Fahrt verlief problemlos. Beim Friseur gab es jedoch Schwierigkeiten. Es war alles sehr ungewohnt. Das Becken, in das er den Kopf legen musste, weit nach hinten gebeugt. Bei seiner Mutter hatte er immer baden dürfen und in einem die Haare gewaschen bekommen. Das erledigte er nun morgens unter der Dusche, es wäre eigentlich nicht nötig gewesen, ihn in das Becken zu zwingen. Aber das ließ er noch über sich ergehen, weil eine junge Friseuse ihm die Haare wusch.
Doch dann kam der Meister persönlich mit der Schere, weil es offensichtlich war, dass man einen schwierigen Kunden hatte. Und es war viel zu schneiden nach all den Monaten, seine Mutter hatte das immer schnell erledigt.
Zweimal sagte er mit angespannter Miene: «Finger weg.»
«Ist gleich vorbei», beruhigte Bruno. «Schön still halten, Kumpel. Dann siehst du bald wieder aus wie ein Mensch und nicht mehr wie ein Mopp.»
Ihm reichte es, unvermittelt machte er eine heftige Bewegung mit dem Kopf, gerade als der Friseur die Seitenpartie noch etwas nacharbeiten wollte. Die spitze Schere fuhr nicht ins Haar, sie schrammte über die Kopfhaut und hinterließ eine blutende Wunde. Es war nicht weiter tragisch. Mit blutstillender Watte war das Malheur schnell behoben.
Bruno hatte schon befürchtet, er müsse auch noch mit ihm zum Krankenhaus, weil die Arztpraxis im Dorf an einem Mittwochnachmittag geschlossen war. Und er hätte nicht mal eine Versicherungskarte gehabt. Nur darum ging es, als Bruno nach dem Friseurbesuch mit Ben zum Schlösser-Hof fuhr, ein simples Stück Plastik veränderte alles.
Einen Hausschlüssel besaß Bruno. Den hatte Jakob ihm schon vor einer Weile ausgehändigt, falls er noch etwas holen musste für Ben. Jakob lebte immer noch bei den von Burgs, daran würde sich auch nichts mehr ändern.
Bruno war oft genug im Haus gewesen. Er wusste, wo Trude wichtige Unterlagen aufbewahrt hatte – im Wohnzimmerschrank. Und dort fand Bruno sie dann, nicht die Mitgliedskarte einer Krankenversicherung, nur die Kopie der Anklageschrift gegen Trude. Und dann las Bruno Kleu, dass Ben zwei Finger von seiner Tochter nach Hause gebracht und Trude sie verbrannt hatte.
Ben saß noch im Auto und drückte die blutstillende Watte gegen seinen Kopf, obwohl es längst nicht mehr blutete. Es war ganz gut so. Wäre er mit Bruno ins Haus gegangen, jetzt in seiner Nähe gewesen, Bruno hätte ihn auf der Stelle erschlagen. Jetzt wusste Bruno, was Paul Lässler fühlte. Er verstand, was Achim dazu gebracht hatte, die Betten auf dem Schlösser-Hof und Bens alte Puppe zu zerschneiden.
Eine halbe Stunde stand Bruno vor dem Schrank im Wohnzimmer. Die Zeilen der Anklageschrift verschwammen ihm schon nach wenigen Minuten vor den Augen. Er sah nur die Flammen vor sich und das puppenhaft schöne Gesicht seiner Tochter, aus der irgendwann eine zweite Maria geworden wäre. Eine Frau, die auch mit fünfundvierzig Jahren noch so makellos war, dass Bruno sich für einen Auserwählten hielt, wenn er bei ihr sein durfte. Ersah die Flammen so lange, bis er das Gefühl hatte, Trude hätte seine Tochter komplett verbrannt.
Dann stürmte er hinaus, befürchtete, dass er Ben in die Scheune prügeln, ihm den Schädel spalten, den Reservekanister auskippen und die ganze Bude abfackeln würde. Aber er riss nur die Wagentür auf, löste den Sicherheitsgurt, zerrte Ben aus dem BMW, schlug die Beifahrertür zu, rannte ums Auto herum, klemmte sich hinter das Steuer und brauste davon, immer noch die Flammen vor Augen und in der Brust. In seinem Innern war eine Hitze, dass er glaubte, zu verglühen. Er kam nur bis zu der Bresche, fand sich im Dreck
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