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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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einen massiven Anstoß von außen. Die Befriedigung einer Sehnsucht – so wie Heinz Lukka damals die Sehnsüchte ihrer Mutter befriedigt hatte.
    Und dann stand plötzlich der Mann vor ihnen, derHeinz Lukka getötet hatte. Und so hatte Miriam sich ihn nicht vorgestellt. Sein Anblick verfolgte sie noch, lange nachdem Nicole mit ihm verschwunden war. Seltsamerweise war es nur sein Anblick. Sie meinte, sie hätte Lukka in diesen großen Händen sehen müssen. Die letzten Sekunden seines Lebens, brechende Augen, niedergestreckt von diesem Riesen, neben dem er wie ein Kind gewirkt haben musste.
    Es erstaunte sie sehr, als ihr nach ein paar Minuten bewusst wurde, dass sie nur verärgert war über die Störung. Nicole tat ihr mehr als gut, sie hatte ein Wunder vollbracht. Wie ihre Mutter in den frühen Jahren Wunder vollbracht hatte bei aufgeschlagenen Knien und verbrannten Fingern. Einmal pusten und der Schmerz ließ nach, daran hatte sie immer fest geglaubt.
    Flüchtig fragte Miriam sich, was wohl mit Bruno Kleu passiert sein mochte, es interessierte sie nicht wirklich. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und begann sich zu langweilen. Nicole war seit zwanzig Minuten weg. Mit einem Seufzer erhob sie sich, ging zur Haustür und schaute den Weg hinunter. Vor der Biegung, die der Weg bei der Apfelwiese machte, stand ein schwarzer Wagen. Auf die Entfernung von fünfhundert Metern war die Marke nicht zu erkennen.
    Etliche Minuten später tauchte hinter dem Wagen jemand auf. Ben – unübersehbar. Kurz darauf kam auch Nicole aus dem Gestrüpp. Sie näherten sich rasch, die letzten Meter im Laufschritt. Nicole nannte ihr hastig eine Telefonnummer und bat, auf Bruno Kleus Hof anzurufen. «Patrizia soll herkommen. Erzähl irgendwas, mir sei schlecht geworden oder so.»
    «Was ist denn los?»
    «Keine Ahnung», log Nicole. Der Anblick beim Birnbaum war eindeutig gewesen. «Bruno Kleu hat vermutlichKreislaufprobleme. Ich habe Tropfen gegen zu niedrigen Blutdruck.»
    «Mach keine Experimente, Herzchen», mahnte Miriam. «Der Blutdruck kann auch zu hoch sein, die Symptome sind gleich.»
    Nicole nickte und wollte kehrtmachen.
    «Was ist mit ihm?», fragte Miriam und zeigte auf Ben, der einfach nur so dastand.
    «Er kann hier warten.» Nicole wandte sich an ihn. «Du bleibst hier stehen, ja? Lauf nicht weg. Patrizia kommt bald.»
    Er nickte. Nicole lief eilig den Weg zurück. Miriam ging wieder ins Haus und schloss die Tür. Das Telefon stand im Arbeitszimmer. Den Hörer hielt sie schon in der Hand, wählte die erste Zahl, schaute zum Fenster. Er stand unverändert da – wie abgeschaltet. Jeder andere wäre ein paar Schritte hin und her gegangen, hätte in die Richtung geschaut, aus der jemand kommen sollte. Ben tat nichts dergleichen. Er hielt den Kopf gesenkt, als sei das Todesurteil über ihn gesprochen worden und er warte nur noch auf den Henker.
    Mein Freund Ben, dachte Miriam. Sei nett zu ihm. Warum nicht? Sie legte auf, ging zur Haustür, zögerte noch einen Moment, ehe sie öffnete. Dann fragte sie: «Möchtest du hereinkommen und bei mir warten?»
    Er schaute zweifelnd auf, nickte unschlüssig und kam langsam näher. Irgendetwas in seinem Gesicht berührte sie eigenartig. Solch einen Ausdruck hatte sie noch nie gesehen. Debil wirkte er nicht, nur verzweifelt, voller Resignation und Furcht.
    «Hast du Angst?»
    Er nickte wieder, betrat die Diele, blieb nach zwei Schritten stehen. Sie versuchte es mit einem Scherz, nach dem ihr gar nicht war. «Hier beißt niemand mehr. Duglaubst doch nicht wirklich, hier wäre noch ein Hund? Nach all den Jahren kannst du das nicht mehr glauben.»
    «Kumpel weg», sagte er.
    «Er kommt schon wieder in Ordnung», antwortete sie, wusste nicht, wie er das weg meinte. Weg konnte Bruno Kleu kaum gewesen sein, sonst wäre Nicole nicht zurückgelaufen. «Nicole hat heilende Hände. Sie streicht ihm über die Stirn und alles ist gut, du wirst sehen.»
    Er schaute sie an mit einem Blick, der sein gesamtes Elend spiegelte, dabei schüttelte er langsam den Kopf. «Kumpel weg.» Er legte eine Hand an die Brust. Diese Geste hatten die Ärzte ihm beigebracht, sich selbst zu bezeichnen, weil er seinen Namen nicht über die Lippen brachte. Warum er sich ausgerechnet in dieser Situation daran erinnerte und nicht stattdessen die Karte mit seinem Namen zeigte, vielleicht war es die Furcht, das Wissen, dass er den weißen Leuten an dem schlimmen Ort wieder sehr nahe war, wenn Bruno ihn nicht mehr sehen

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