Lukkas Erbe
besuchen. Es sollte eine Überraschung werden. Beide Frauen wurden erst Tage später vermisst.
DRITTER TEIL
Mein Alptraum
14. Oktober 1997
Dass es schon vier Opfer waren, wusste Nicole Rehbach nicht, als sie mich anrief. Das war kurz nach sechzehn Uhr. Sie hatte lange nachgedacht, an wen sie sich wenden könnte, wenn die Beamten der Lohberger Wache keinen Handlungsbedarf sahen. Nicole bat um ein Gespräch unter vier Augen. Ben erwähnte sie nicht, erklärte nur, dass eine junge Frau im Bendchen vergewaltigt worden war, die jedoch keine Anzeige erstatten möchte. Außerdem seien höchstwahrscheinlich zwei Frauen verschwunden. Sie nannte mir die Namen Vanessa Greven und Dorit Prang.
Ich rief sofort anschließend die Polizeiwache in Lohberg an. Man wusste nur, dass Leonard Darscheid ein Stapel Transportdecken gestohlen worden war, nachdem seine Lebensgefährtin ihn verlassen und bei ihrer Abreise vergessen hatte, eine Außentür zu schließen. Dass Maria Jensen wegen Dorit Prang Alarm geschlagen hatte, darüber gab es nicht mal eine Aktennotiz. Und die Vergewaltigung im Bendchen war natürlich nicht bekannt.
Danach versuchte ich mein Glück auf dem Schlösser-Hof. Ich hatte keine Ahnung, was seit dem Leichenfund im März 96 im Dorf passiert war. Mitte Mai 96 hatte ich vom Büro des Staatsanwalts nur die lapidare Mitteilung erhalten, das Strafverfahren gegen Trude sei eingestellt worden. Dass Trude gestorben war, wusste ich nicht.
Es hatte mich nach der Mitteilung vom Staatsanwaltwohl ein paar Mal in den Fingern gejuckt, Trude anzurufen, zu fragen, wie es ging, ob Ben sich wieder gut eingelebt hatte, wie er sich verhielt und so weiter. Getan hatte ich es nicht, weil ich meine Distanz zurückhaben wollte.
So ist das in meinem Job, man schließt keine Freundschaften, pflegt keine Kontakte mit Menschen, die in Mordserien verwickelt waren und Beweisstücke verbrannt haben. Man schließt die Sache ab und muss versuchen, die Opfer zu vergessen, sonst kann man nicht weiterarbeiten. Aus polizeilicher Sicht war es im Dorf ruhig geblieben. So hatte ich mich nie fragen müssen, ob ich im März 96 einen Fehler gemacht hatte.
Natürlich bekam ich keine Verbindung zum Schlösser-Hof. Der Anschluss existierte gar nicht mehr. Ich sprach mit Dirk Schumann, dem Kollegen, mit dem zusammen ich im Sommer 95 ermittelt hatte, über Nicole Rehbachs dürftige Auskünfte. Im März 96 war Dirk nicht an den Ermittlungen beteiligt gewesen, einfach weil es nach dem Leichenfund keine Ermittlungen mehr gegeben hatte.
Nun lachte er und meinte: «Die werden doch vor zwei Jahren nicht den Falschen eingeäschert haben.» Dann sagte er: «Mach dich nicht verrückt, Brigitte. Zwei erwachsene Frauen in wackligen Beziehungen bedeuten höchstwahrscheinlich, dass die beiden Damen sich ein paar nette Tage machen.»
Für Nicole Rehbach war der 14. Oktober ein besonderer Tag. In ihrem Personalausweis war dieses Datum als ihr Geburtstag angegeben. Ob sie tatsächlich an dem Tag geboren war, konnte niemand mit Bestimmtheit sagen. Ihr war das auch nicht so wichtig. Sie rechnete damit, dass am Abend ihre Freunde erschienen, um zu gratulieren. Es war so üblich, besondere Einladungen brauchte es nicht.
Wie immer war Walter Hambloch der Erste. Er kam schon kurz nach sechs Uhr, half bei der Zubereitung eines kleinen Büfetts und holte die Getränke herauf, die im Keller des Hauses an der Bachstraße aufbewahrt wurden. Miriam wollte nicht kommen, hatte keine Lust auf einen Abend mit Walter Hambloch. Außerdem wollte sie eine kleine Reise machen.
Hartmut Rehbach kam gegen sieben Uhr nach Hause. Er war inzwischen als eine Art Kompagnon im Computerladen tätig, wurde nach Umsatz bezahlt und verdiente recht gut. Kurz nach ihm trafen Andreas und Sabine Lässler ein, wenig später auch Bärbel und Uwe von Burg. Als Letzte kamen Patrizia und Dieter Kleu, die mussten mit zwei Küchenstühlen vorlieb nehmen, weil es an Sitzgelegenheiten mangelte.
Patrizia entschuldigte Ben, der eigentlich hätte mitkommen sollen, aber wenn Bärbel dabei war, war das eine Sache für sich. Bärbels Einstellung zu ihrem Bruder hatte sich in den letzten Monaten stark gewandelt, umgekehrt war das nicht der Fall. Bärbel fühlte sich oft verpflichtet, in Bens «Erziehung» einzugreifen. Und Patrizia passte es nicht, wenn jemand an ihm herummäkelte. Sich offen gegen Bärbel zu stellen, wagte sie nicht. Im Notfall brauchte sie Bens ältere Schwester als Verbündete, um die von Maria
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