Lukkas Erbe
aufkommen.»
Ehe Nicole antworten konnte, sagte Hartmut: «Kann dir doch egal sein.»
Nicole holte einen Korb aus der Küche für die Lebensmittel,die lose im Kofferraum lagen. Walter verabschiedete sich rasch von Hartmut und folgte ihr ins Freie, draußen sprach er weiter: «Jetzt bist du abgemeldet, was? Ich hab mir gedacht, dass so was passiert. Ihr ging es von Anfang an nur um Lukka. Und jetzt hat sie den Richtigen in den Fingern.»
Sie hatten den Mercedes und den Streifenwagen erreicht. Nicole öffnete den Kofferraum, packte die Lebensmittel in den Korb. Walter half ihr dabei, zog eine kleine Sprühdose aus der Hosentasche, legte sie zu den Waren und sagte: «Wenn du ab Montag hier zu Fuß unterwegs bist, kannst du vielleicht mal so was brauchen.»
«Was ist das?»
«Tränengas», antwortete er. «Aus kurzer Distanz in die Augen, aber achte auf den Wind, sonst setzt du dich selbst außer Gefecht. Ein bisschen Sport solltest du auch treiben, laufen vor allem. Kauf dir ein paar gute Schuhe.» Er zeigte auf ihre Slipper. «In den Tretern hast du keine Chance, wenn’s brenzlig wird.»
«Was soll denn hier brenzlig werden?»
«Kann man nicht wissen», sagte er. «Ich habe ein ganz blödes Gefühl. Hartmut will nichts davon hören. Aber er muss auch nicht zweimal täglich einen Kilometer im Dunkeln laufen. Neulich hab ich Achim getroffen, er hat ein paar interessante Sachen erzählt. Wusstest du, dass Bruno Kleu Ben trainiert hat? Achim sagte, er hätte ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden geschickt. Nun frag ich mich, was Miriam ihm noch beibringen soll. Vielleicht wie man mit Messern spielt. Wenn sie Lukkas Unschuld beweisen will, ist das ein guter Weg. Und du bist genau der Typ, den sie brauchen. Drei von den vier Opfern waren blond. Pass gut auf dich auf, versprich mir das.»
Nicole wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.Es klang ziemlich weit hergeholt. Walter ging zum Streifenwagen, ehe die Wache in Lohberg bemerkte, dass er wieder während der Dienstzeit Privatbesuche gemacht hatte. Sie trug den Korb in die Küche.
Nachdem die Lebensmittel verstaut waren, kochte sie Kaffee. Sie hatte Hefegebäck mitgebracht, Hartmut liebte das, wollte aber am Computer sitzen bleiben. Er probierte ein neues Spiel aus. Von Miriam, ihren Sorgen und der Angst vor der Zukunft wollte er nichts hören, meinte nur: «Das renkt sich schon wieder ein, wenn du jeden Tag mit ihr zusammen bist.»
Am Abend kamen Andreas und Sabine Lässler zu Besuch. Andreas bestätigte die Sache mit dem Faustschlag, meinte jedoch, es habe Achim bestimmt nicht geschadet, noch zwei oder drei Schläge mehr hätten ihn vielleicht völlig zur Vernunft gebracht. Sabine erzählte, dass Walter sich in letzter Zeit sehr um Achim bemühte und versuchte, ihn zu einem Bier in Ruhpolds Schenke oder einem Abend in Köln zu überreden. Sie kannten sich ja schon, seit sie Kinder waren. Nur war Walter damals der Freund von Andreas gewesen.
«Jetzt sind die zwei Richtigen zusammen », meinte Sabine. «Achim weiß eine gute Männerfreundschaft bestimmt zu schätzen. Er kriegt bei der holden Weiblichkeit ja auch kein Bein an die Erde, aber in Köln haben sie sicher mal Glück.»
Sabine hatte leicht reden, fand Nicole, sie war im siebten Monat schwanger, saß neben einem Mann, der nicht zu einem Stück Plastik greifen musste, wenn er mit ihr schlief, der auf zwei Beinen neben ihr ging, einen gesunden rechten Arm um ihre Schultern legte. Der Anblick verfolgte sie am Sonntagmorgen noch.
Hartmut setzte sich sofort nach dem Frühstück wieder an den Computer. Ungewaschen, unrasiert, so wie er ausdem Bett gestiegen war. Er hatte nur den Pullover übergezogen, den er schon am Samstag getragen hatte. Dazu trug er die Shorts, in denen er geschlafen hatte. Sie bedeckten nicht einmal den Urinbeutel, der an seinem Oberschenkel befestigt war und sich mittels Dauerkatheter füllte.
Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie es gewesen war, mit ihm zu schlafen. Sie sah sich mit Walter durch den Garten gehen. Walter war keine Schönheit, bestimmt nicht, aber er war ein Mann, der sich vielleicht in Köln eine Frau für Geld suchen musste – allein oder mit Achim Lässler. Sie sah sich mit Achim bei der Garage stehen – an dem Septembertag im vergangenen Jahr, als seine Schwester beerdigt wurde, morgens in aller Herrgottsfrühe. Ein kräftiger junger Mann, blond und gut aussehend wie Andreas, nur ein bisschen kantiger. Er war so verletzt gewesen, so zerbrechlich, dass sie
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