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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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es mir wegnehmen kann, habe ich den Zettel gefaltet und wieder in die Hosentasche geschoben.
    Ihre Hand schwebt noch in der Luft; sie zeigt mit dem Zeigefinger auf mich und sagt: »Ich habe davon gehört. Das ist ein Merzlied. Stimmt’s?«
    In dem Buch auf ihrem Schreibtisch ist die Stelle markiert: Das elementare Werk des Todes ist die Beschwörung der Wiedergeburt.
    Durch das glänzende Kirschholz des Schreibtischs zieht sich eine lange tiefe Schramme.
    Ich frage, ob sie mir etwas über Merzlieder erzählen kann.
    »In der Literatur werden sie überall erwähnt«, sagt sie achselzuckend, »aber angeblich sind sie in Vergessenheit geraten.« Sie dreht die Handfläche nach oben und sagt: »Zeigen Sie mir das noch mal.«
    Und ich sage: Wie funktionieren die?
    Und sie wedelt mit den Fingern.
    Und ich schüttle den Kopf. Nein. Ich frage, wie es kommt, dass es andere Menschen tötet, aber nicht den, der es aufsagt.
    Und Mona legt den Kopf leicht schräg und sagt: »Warum tötet ein Gewehr nicht den, der den Abzug drückt? Es ist im Prinzip das Gleiche.« Sie hebt beide Arme über den Kopf und streckt sich, reckt die Hände zur Zimmerdecke. Sie sagt: »Das funktioniert nicht wie ein Rezept in einem Kochbuch. So was kann man nicht unterm Elektronenmikroskop zerlegen.«
    Ihr Kleid ist ärmellos, und die Behaarung unter den Achseln ist ganz normal mausbraun.
    Also, sage ich, wie kann es bei jemand funktionieren, der es gar nicht hört? Ich sehe das Radio an. Wie kann ein Zauberspruch funktionieren, wenn man ihn nicht mal laut ausspricht?
    Mona Sabbat stöhnt. Sie legt das aufgeschlagene Buch andersrum auf die Tischplatte und steckt sich den gelben Marker hinters Ohr. Sie zieht eine Schreibtischschublade auf, nimmt Block und Bleistift heraus und sagt: »Sie haben überhaupt keine Ahnung, stimmt’s?«
    Sie schreibt etwas auf den Block und sagt: »Als ich noch katholisch war – das ist viele Jahre her –, konnte ich das Ave-Maria in sieben Sekunden aufsagen. Das Vaterunser in neun Sekunden. Wenn man viel zu büßen aufbekommt, so wie ich, wird man schnell.« Sie sagt: »Wenn man so schnell wird, sind das eigentlich gar keine Worte mehr, aber ein Gebet ist es trotzdem noch.«
    Sie sagt: »Ein Zauberspruch – der konzentriert einen Willen.« Sie sagt das langsam, Wort für Wort, und wartet dann kurz. Sie sieht mir in die Augen und sagt: »Der Wille des Sprechers muss nur stark genug sein, dann schläft der Angesprochene ein, egal wo er sich gerade befindet.«
    Je mehr Gefühle jemand in sich aufgestaut hat, sagt sie, desto stärker wirkt der Spruch. Mona Sabbat blinzelt mich an und sagt: »Wann haben Sie das letzte Mal gevögelt?«
    Vor fast zwei Jahrzehnten, aber das sage ich ihr nicht.
    »Ich vermute mal«, sagt sie, »dass Sie wie ein Pulverfass sind. Extrem geladen. Mit Wut. Trauer. Oder so.« Sie hört auf zu schreiben und blättert in ihrem Buch mit den vielen angestrichenen Stellen herum. Einmal vertieft sie sich kurz in etwas, dann schlägt sie zur nächsten Seite um. »Ein ausgeglichener Mensch«, sagt sie, »ein funktionierender Mensch, müsste das Lied laut vorlesen, um jemand anders in Schlaf zu versetzen.«
    Sie liest weiter, runzelt die Stirn und sagt: »Solange Sie sich nicht mit Ihren wahren persönlichen Problemen befassen, werden Sie nie imstande sein, sich selbst unter Kontrolle zu kriegen.«
    Ich frage, ob das alles in ihrem Buch steht.
    »Das meiste stammt von Dr. Sara«, sagt sie.
    Und ich sage, das Merzlied bewirke mehr, als dass die Leute bloß einschliefen.
    »Wie meinen Sie das?«, sagt sie.
    Ich meine, dass sie sterben. Ich sage: Sind Sie sich sicher, dass Sie Helen Boyle nie mit einem Buch gesehen haben, das Gedichte und Lieder aus aller Welt heißt?
    Mona Sabbats offene Hand sinkt auf den Schreibtisch und greift nach dem in Folie gewickelten Lunch. Sie nimmt einen Bissen und starrt dann den Radiowecker an. Sie sagt: »Das da eben im Radio«, sagt Mona, »haben Sie das getan?«
    Ich nicke.
    »Sie haben Dr. Sara zur Seelenwanderung gezwungen?«, sagt sie.
    Ich frage, ob sie Helen Boyle auf ihrem Handy anrufen kann, damit ich vielleicht mit ihr reden könne.
    Mein Piepser meldet sich.
    Und diese Mona sagt: »Sie behaupten also, dass Helen dieses Merzlied auch benutzt?«
    Mein Piepser sagt, ich soll Nash anrufen. Und zwar dringend.
    Und ich sage, ich kann das nicht beweisen, aber Mrs. Boyle kennt sich damit aus. Ich sage, ich brauche ihre Hilfe, um das unter Kontrolle zu kriegen. Um mich selbst

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