Lullaby (DE)

»Sparrow, das ist Mr. Streator.«
    Und Sparrow nickt.
    Und Mona sagt: »Und das ist mein Boss ...«
    »Chinchilla«, sagt Helen.
    Die Mikrowelle fängt an zu piepen, und Mona führt Sparrow in die Küche. Helen geht zum Kamin und nimmt einen Schluck Wein.
    Es klingelt. Und Mona ruft aus der Küche, wir sollen aufmachen.
    Diesmal ist es ein Junge mit langem blondem Haar und rotem Ziegenbart; er trägt graue Jogginghosen und ein Sweatshirt. Und er bringt einen Steinguttopf mit braunem Glasdeckel mit. Irgendwas Klebriges und Braunes ist um den Deckelrand hochgekocht, und von innen ist der Deckel dicht beschlagen. Der Junge kommt herein und drückt mir den Topf in die Hand. Er schleudert seine Tennisschuhe ab und zieht sich das Sweatshirt über den Kopf, und überall fliegen seine Haare herum. Er legt das Hemd auf den Topf, den ich halte, und hebt dann ein Bein, um erst mit dem einen und dann mit dem anderen Bein aus der Hose zu steigen. Er hängt mir die Hose über die Arme, und dann steht er da, die Hände in die Hüften gestemmt, und präsentiert Schwanz und Eier.
    Helen zieht sich den Mantel fester zu und kippt den Rest ihres Weins.
    Der Steinguttopf ist schwer und heiß und riecht nach braunem Zucker und entweder Tofu oder schmutzigen grauen Jogginghosen.
    Und Mona sagt: »Oyster!« und tritt neben uns. Sie nimmt mir den Topf und die Kleider ab und sagt: »Oyster, das ist Mr. Streator.« Sie sagt: »Hört mal alle her, das ist mein Freund Oyster.«
    Und der Junge schüttelt sich das Haar aus den Augen und sieht mich an. Er sagt: »Mulberry denkt, Sie haben ein Merzgedicht.« Sein Schwanz läuft in einen tröpfelnden rosa Stalaktiten von Vorhaut aus. Und ist mit einem silbernen Ring gepierct.
    Und Helen sieht mich lächelnd, aber mit zusammengebissenen Zähnen an.
    Dieser Oyster packt Mona beim Kragen ihres Frotteebademantels und sagt: »Mensch, du hast aber viele Sachen an.« Er beugt sich vor und gibt ihr über den Steinguttopf hinweg einen Kuss.
    »Bei den Ritualen sind wir immer nackt«, sagt Mona und schlägt die Augen nieder. Errötend schwenkt sie den Steinguttopf und sagt: »Oyster? Das ist Mrs. Boyle, meine Chefin.«
    Details zu Oyster: Sein Haar sieht kaputt aus, ähnlich wie eine Kiefer, in die der Blitz eingeschlagen hat, zersplittert blond und in alle Richtungen abstehend. Sein Körper wirkt sehr jung. Arme und Beine wie zusammengesetzt aus dicken Muskelpaketen und schmalen Gelenken, Knien und Ellbogen und Taille.
    Helen hält ihm die Hand hin, und Oyster nimmt sie und sagt: »Ein Peridot-Ring ...«
    Da steht er, nackt und jung, und führt Helens Hand bis dicht vor sein Gesicht. Da steht er, sonnengebräunt und muskulös, lässt den Blick vom Ring über den Arm bis in ihre Augen wandern und sagt: »Ein so leidenschaftlicher Stein würde die meisten Menschen überwältigen.« Und dann küsst er den Stein.
    »Bei den Ritualen sind wir nackt«, sagt Mona, »aber Sie müssen das nicht mitmachen. Das heißt, Sie müssen das wirklich nicht machen.« Sie nickt in Richtung Küche und sagt: »Oyster, komm mit und hilf mir mal ein bisschen.«
    Und im Gehen sieht Oyster mich an und sagt: »Kleidung ist Unehrlichkeit in ihrer reinsten Form.« Er lächelt, aber nur mit einer Mundhälfte, zwinkert mir zu und sagt: »Hübsche Krawatte, Dad.«
    Und ich zähle 1, zähle 2, zähle 3 ...
    Als Mona in der Küche verschwunden ist, dreht Helen sich zu mir um und sagt: »Ich kann’s nicht fassen, dass Sie das jemand erzählt haben.«
    Sie meint Nash.
    Als ob mir was anderes übrig geblieben wäre. Außerdem ist das Gedicht nicht verfügbar. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht nur meins verbrannt habe, sondern jedes einzelne, das ich in gedruckter Form habe auftreiben können. Von Helen Hoover Boyle oder Mona Sabbat weiß er nichts. Und er kann mit der Information absolut nichts anfangen.
    Okay, es gibt noch ein paar Dutzend Exemplare in öffentlichen Büchereien. Vielleicht können wir die aufspüren und jeweils die Seite 27 vernichten, während wir weiter nach dem ursprünglichen Quellenmaterial forschen.
    »Das Buch der Schatten«, sagt Helen.
    Das Grimoire, wie die Hexen es nennen. Das Buch der Zaubersprüche. Die ganze Macht der Welt.
    Es klingelt, und der nächste Gast steigt aus seinen weiten Shorts und zieht sich das T-Shirt über den Kopf und stellt sich uns als Hedgehog vor. Details zu Hedgehog: Die leere Haut schlottert ihm um Arme, Brust und Arsch. Sein gelocktes schwarzes Schamhaar passt zu den zwei Haaren,