Lullaby (DE)
Zaubersprüchen.«
Wenn es in einer klaren Stärkemehllösung geschrieben ist, streicht man Jod darauf, um die Schrift lesbar zu machen.
Wenn es Zitronensaft ist, sagt sie, erhitzt man das Papier, und die Schrift wird braun.
»Leck mal dran«, sagt Helen, »ob es sauer ist.«
Und Mona schlägt das Buch zu. »Das ist ein tausend Jahre altes Hexenbuch, eingebunden in mumifizierte Haut und wahrscheinlich mit altem Sperma geschrieben.« Sie sagt: »Leck selber dran .«
Und Helen sagt: »Okay, verstehe. Dann versuch wenigstens, es so schnell wie möglich zu übersetzen.«
Und Mona sagt: »Wer hat denn das Buch zehn Jahre lang mit sich herumgetragen? Wer hat es denn ruiniert und alles voll gekritzelt?« Sie hält das Buch mit beiden Händen und schiebt es Helen hin. »Das ist ein altes Buch. Geschrieben in Altgriechisch und Latein und irgendwelchen Runen, die niemand mehr kennt.« Sie sagt: »Da brauche ich schon etwas Zeit.«
»Hier«, sagt Helen und klappt die Handtasche auf. Sie nimmt ein gefaltetes Stück Papier heraus, gibt es Mona und sagt: »Das ist eine Abschrift des Merzliedes. So viel hat ein Mann namens Basil Frankie übersetzen können. Wenn es dir gelingt, in diesem Buch einen dazu passenden Spruch zu finden, kannst du es als Schlüssel zum Übersetzen aller anderen Sprüche in dieser Sprache verwenden.« Sie sagt: »Wie bei dem Stein von Rosetta.«
Und Mona will das gefaltete Blatt entgegennehmen.
Und ich reiße es Helen aus der Hand und frage, wozu wir dieses Gespräch überhaupt führen. Ich sage, ich dachte immer, dass wir das Buch verbrennen wollten. Ich falte das Blatt auseinander, und es ist die aus irgendeiner Bücherei entfernte Seite 27, und ich sage, wir müssen darüber nachdenken.
Zu Helen sage ich: Bist du dir sicher, dass du das mit Mona machen willst? Dieser Zauberspruch hat unser Leben ziemlich zerstört. Ich sage: Und außerdem, wenn Mona was erfährt, erfährt Oyster es auch.
Helen zwängt ihre Finger in die weißen Handschuhe. Sie schließt die Knöpfe an den Stulpen, hält Mona eine Hand hin und sagt: »Gib mir das Buch.«
»Ich kann das aber schaffen«, sagt Mona.
Helen wedelt mit der Hand und sagt: »Nein, es ist besser so. Mr. Streator hat Recht. Das greift zu sehr in dein Leben ein.«
Ferne Schreie und leuchtende Farben erfüllen die Abendluft.
Und Mona sagt: »Nein.« Sie schlingt beide Arme um das Buch und drückt es fest an die Brust.
»Da hast du’s«, sagt Helen. »Es hat schon angefangen. Wenn man die Möglichkeit hat, ein bisschen Macht zu erlangen, will man immer noch mehr.«
Ich sage ihr, sie soll Helen das Buch geben.
Und Mona dreht uns den Rücken zu und sagt: »Ich habe es gefunden. Ich bin die Einzige, die es lesen kann.« Sie sieht mich über die Schulter an und sagt: »Du, du willst es doch nur vernichten, damit du deine Story verkaufen kannst. Du willst alles verschwinden lassen, damit man gefahrlos darüber reden kann.«
Und Helen sagt: »Mona, Schätzchen, lass es bleiben.«
Und Mona sieht Helen über die andere Schulter an und sagt: »Du willst es doch bloß, weil du die Welt beherrschen willst. Für dich zählt immer nur das Geld.« Sie beugt die Schultern vor, als wollte sie das Buch mit dem ganzen Körper schützen, sie blickt darauf hinunter und sagt: »Ich bin die Einzige, die es als das zu würdigen weiß, was es ist.«
Und ich sage ihr, sie soll auf Helen hören.
»Es ist ein Buch der Schatten«, sagt Mona, »ein echtes Buch der Schatten. Es darf nur einer echten Hexe gehören. Lasst es mich nur übersetzen. Ich sage euch dann schon, was ich herausfinde. Versprochen.«
Ich falte das Merzlied wieder zusammen und stopfe es mir in die Hosentasche. Ich gehe einen Schritt auf Mona zu. Ich sehe Helen an, und die nickt.
Noch immer mit dem Rücken zu uns, sagt Mona: »Ich bringe Patrick zurück.« Sie sagt: »Ich bringe die ganzen kleinen Kinder zurück.«
Und ich packe sie von hinten um die Hüften und hebe sie hoch. Mona kreischt, sie tritt mir mit den Hacken an die Schienbeine und windet sich hin und her, sie lässt das Buch nicht los, und ich schiebe die Hände unter ihren Armen durch, bis ich es berühre, bis ich tote Menschenhaut berühre. Die tote Brustwarze. Monas Brustwarzen. Mona kreischt, und sie gräbt die Fingernägel in meine Hände, in die weiche Haut zwischen den Fingern. Sie zerkratzt mir die Handrücken, bis ich sie um die Handgelenke zu fassen kriege und ihr die Arme hochbiegen und auseinander reißen kann. Das Buch fällt,
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