Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
es
euch zeigen.« Mit diesen Worten beugte ich mich zu dem auf einer Ecke des
Esstisches platzierten Radio vor, das, solange ich denken konnte, niemals eingeschaltet
gewesen war, und betätigte einen Knopf. Mit lautstarkem Knacken und Rauschen erwachte
das Gerät zum Leben.
Anspannung
zeichnete sich auf den Gesichtern der beiden Männer ab, als sie sich vorbeugten
und das Gerät mit Blicken fixierten. Aus den Lautsprechern drang die von der
schlechten Verbindung verzerrte Stimme eines Nachrichtensprechers, der
ungewöhnlich hastig seine Meldungen verlas: »… soll es nach Angaben der
örtlichen Polizei in den vergangenen Stunden allein in der Innenstadt zu insgesamt
achtundzwanzig unerklärlichen Todesfällen durch Gewalteinwirken gekommen sein.
Über die Umstände dieser Morde ist bisher nur sehr wenig bekannt, allerdings
scheint es keine Verbindung zwischen den Opfern oder den mutmaßlichen Tätern zu
geben. Doch damit nicht genug. Die schrecklichen Bluttaten scheinen sich über
das ganze Land zu ziehen, pausenlos erreichen uns neue Meldungen von aufgefundenen
Leichen …«
Ich
hob die Hand an den Regler und suchte wahllos einen anderen Sender aus. »… als
befände sich die gesamte Welt im Drogenrausch«, berichtete hier eine Frau,
deren Stimme vor nur mühsam unterdrückter Panik bebte. »Die Mord- und
Selbstmordrate ist in den vergangenen Stunden mit unfassbarer Geschwindigkeit
in die Höhe geschossen, Berichte über Gewalttätigkeit und Vandalismus nehmen
kein Ende. In der Hauptstadt Berlin wurden allein am heutigen Tag knapp vierzig
Wohnungsbrände gelegt, von denen nur etwa die Hälfte unter Kontrolle gebracht
werden konnte. Die restlichen Brände griffen auf die benachbarten Gebäude über
und richteten Verheerung sondergleichen an. Die Anzahl der Todesopfer ist
derzeit noch unklar. Der Sprecher der zuständigen Polizeibehörde gibt an, es
handle sich bei diesen Ereignissen um das Zusammentreffen verschiedener …«
Wieder
suchte ich einen anderen Kanal. Das statische Rauschen, das den Raum erfüllte,
während ich an dem Rad drehte, verband sich mit dem Prasseln des Regens vor dem
Haus zu einer düsteren Melodie.
»…
in dem achtzehn Menschen, darunter fünf Kinder, den Tod fanden«, hieß es auf
diesem Sender. »Die Hintergründe dieses Vorfalles sind noch unklar, es wird
aber vermutet, dass der verantwortliche, skrupellose Selbstmordattentäter unter
psychischer Beeinträchtigung gehandelt hat. Aus den Aussagen einiger Nachbarn
geht hervor, dass der Mann die sechsköpfige Familie und deren Gesellschaft gut
gekannt hat. Diese Information wurde von den Pressesprechern der Polizei
bislang nicht bestätigt.
Ein
weiterer schockierender Selbstmord ereignete sich nur wenige Kilometer entfernt
in einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt. Eine einunddreißigjährige Frau
erstach sich vor den Augen ihres Ehemannes mit der Spitze eines metallenen
Kruzifixes, das seit Jahren als Wandschmuck gedient hatte. Vor ihrer Tat prophezeite
sie hysterisch brüllend den Zorn Gottes, der über die Welt hereinbrechen und
die ›Sünder‹ vernichten werde. Zeugenaussagen bestätigen, dass es sich bei der
Toten um eine sehr gläubige Christin gehandelt habe, die niemals zuvor zu
Aggressionen neigte und eine sehr glückliche Ehe zu führen schi…«
Wieder
herrschte für einen Sekundenbruchteil dieses von eisigem Schrecken erfüllte
Schweigen, das nur vom Prasseln der Regentropfen und dem Knistern des Gerätes gestört
wurde.
»…
ist wie am Tag des Jüngsten Gerichts. Polizei, Feuerwehr und Rettung mangelt es
an Einsatzkräften, um das Chaos einzudämmen, und so herrscht überall im Land der
Ausnahmezustand. Gigantische Verkehrsstaus verstopfen die Straßen, die Menschen
flüchten vor der unsichtbaren Bedrohung …«
Knistern
und Rauschen.
»Gläubige
aus aller Welt suchen ihre religiösen Zentren auf, um für den Fortbestand der
Welt zu beten, die einzige Hoffnung, die viele Menschen noch sehen …«
Knistern
und Rauschen.
Der
darauffolgende Sender veranschaulichte den Ernst der Lage am deutlichsten: Nur
ein hoher, in den Ohren schmerzender Pfeifton war auf dieser Frequenz zu hören
und bewies, dass keine Menschen mehr an den Maschinen tätig waren. Vielleicht reisten
diese gerade in den Vatikan oder nach Mekka, steckten eine Schule in Brand oder
begingen Harakiri mit einem Brieföffner.
Ich
wollte die Frequenz wechseln, doch Kiro drückte meinen Arm herunter und deutete
ein schwaches, beinahe flehendes
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