Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Sichel, die in einem von
Regenwolken schweren Himmel hing und jeden Moment auf die Erde herabzustürzen
drohte. Immer wieder schoben sich finstere Schleier vor den Erdtrabanten,
ließen das einzelne Auge des Himmels träge blinzeln. Kein einziger Stern war zu
sehen, und ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, ehe auch das
letzte Licht des Kosmos´ erlöschen würde. Wenn wir Glück hatten, blieben uns
noch acht Stunden, aber nicht einmal das stand für mich fest.
»Wahrscheinlich
eher sechs.«
Ich
drehte mich herum und entdeckte Andreas, der auf meinem Bett saß und mich mit
starrem Blick beobachtete. Es schien, als säße er dort schon eine halbe
Ewigkeit.
»Du«,
stellte ich fest. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich meine Gedanken laut
ausgesprochen hatte, doch es musste wohl so gewesen sein.
»Ich
habe dem Diener befohlen, dich zu mir zu bringen. Der Diener kam ohne dich.«
»Der
Name des Dieners ist Mike«, erwiderte ich hart. »Er ist der Bruder deines
Sohnes.«
Andreas
lächelte humorlos. »Ich habe keinen Sohn.«
»Richtig.
Du hast ihn aufgegeben.«
Andreas´
Miene blieb völlig ungerührt. »Ihn und seine lästige Mutter. Ich brauche sie
nicht, Laura. Der einzige Mensch, den ich brauche, steht vor mir. Wenn das
einer verstehen kann, dann doch wohl du. Schließlich hast auch du alles hinter
dir zurückgelassen, um hier bei mir zu sein. Wir sind vom selben Schlag, du und
ich.«
Ich
schluckte hörbar. »Ich werde niemals sein wie du.«
»Das
bist du längst.«
Meine
Fingernägel gruben sich so heftig in meine Handballen, dass Blut warm und
klebrig durch meine Finger lief. »Was zur Hölle willst du?«
Andreas
erhob sich und kam auf mich zu. Ich wandte mich ab, als er einen Arm um mich
legte, wollte ihm nicht in das erbarmungslose, gefühlskalte Gesicht blicken.
Seine Haut schien von einer hauchfeinen Eisschicht überzogen.
»Schon
bald werden wir unsere Seelen vereinen, Laura«, flüsterte seine Stimme an
meinem Ohr. »Deshalb sollte nichts mehr zwischen uns beiden stehen, wenn der
Zeitpunkt da ist.«
»Du
willst also, dass wir reden? Uns aussprechen?« Es sollte spöttisch klingen,
doch es gelang mir nicht gänzlich.
»Wenn
das dein Wunsch ist. Du kannst mir jede Frage stellen, die dir auf der Seele
liegt, meine Liebe.«
Ich
verzog die Lippen zu einer bitteren Grimasse. »Du warst sehr lange fort, fast
zwanzig Jahre. Was hast du in der Zwischenzeit getan? Warum bist du nie zurückgekehrt,
hast dein Leben wieder in Ordnung gebracht? Es wäre nicht zu spät gewesen,
deine Familie zu retten.«
»Meine
Familie scheint dir sehr am Herzen zu liegen.«
»Kiro
liegt mir am Herzen.«
Andreas
lachte leise. »Du weißt doch hoffentlich auch, warum? Mädchen, wir beide wurden
geboren, um uns anzuziehen wie die gegensätzlichen Pole zweier Magneten. Wir
brauchen einander, weil die Welt uns braucht. Was nun diesen Jungen betrifft …
Biologisch besitzt er einiges Erbgut, das er von mir erhalten hat. Es ist daher
nur natürlich, dass du dich auch durch ihn angezogen fühlst. Es liegt in deiner
Natur.«
Ich
schnaubte. »Willst du damit etwa andeuten, meine Gefühle für Kiro seien nichts
als ein … mechanischer Reflex?«
»Selbstverständlich
sind sie das.« Andreas´ Finger strich über meine Lippen, die sich zu einem
Schmollmund verzogen hatten. Seine Haut schmeckte nach Erde, genau wie sein
Atem. »Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, die wahre Liebe gefunden
zu haben? So etwas gibt es nicht und wird es niemals geben. Es gibt nur Macht.
Und jene, die uns daran hindern wollen, sie zu erlangen.«
Meine
Lippen, die noch immer von seiner sachten Berührung brannten, begannen leicht
zu zittern. Meine unbändige Zuneigung für Kiro, nur eine simple Naturerscheinung?
War das zwischen uns nicht mehr als das Vibrieren einer Kompassnadel, die sich
in falscher Sehnsucht dem magnetischen Nordpol entgegenstreckt? Ich wollte
etwas sagen, meine Emotionen gegenüber diesem kalten, grausamen Mann verteidigen,
doch seine unbestreitbare Logik hatte mir den Mund verschlossen.
»Der
Verlust meines Buches hat mich um Jahre meines Fortschrittes zurückgeworfen«,
fuhr Andreas fort, während er mich aus eisblauen Augen beobachtete. »Und meine
sogenannte Familie, meine engsten Freunde haben ihn verschuldet. Ich habe kein
Interesse mehr daran, mich an schwache Menschen zu binden, die mich bremsen.
Diese Lektion habe ich schmerzhaft gelernt. Und da du mir nicht gleichgültig
bist, meine Liebe, werde ich sie
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