Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
weiterhetzten, den Polizisten mit der
gezogenen Waffe direkt im Nacken. Ich warf einen Blick über die Schulter zurück
und spürte unvermittelt Übelkeit in mir aufwallen, als ich erkannte, wie nah er
uns bereits gekommen war.
Ein
ohrenbetäubendes Hupsignal ließ nicht nur mich, sondern auch Kiro heftig
zusammenfahren. Wir wandten die Köpfe nach der Quelle des Geräusches – und
sahen einen Wagen, dessen Hintertüren offenstanden und dessen Scheinwerfer
immer wieder in einem Blitzlicht aufflackerten.
»Wer
ist das?«, stieß ich keuchend hervor.
»Ist
doch egal, Hauptsache, er bringt uns weg von hier«, brachte Kiro es auf den
Punkt.
Die
allerletzten Kraftreserven mobilisierend, setzten wir Hand in Hand zum Endspurt
an. Etwas, das ich zuerst für eine zornig summende Hornisse hielt, zischte an
uns vorbei, und erst, als es sich mit unvorstellbarer Wucht in die Karosserie
eines parkenden Wagens bohrte, wurde mir bewusst, um was es sich gehandelt
hatte. »Der Irre schießt auf uns!«, schrie ich verängstigt.
»Er
wird uns nicht treffen«, rief Kiro zurück.
Ein
weiterer Querschläger heulte uns um die Ohren, ohne Schaden zu verursachen, und
allmählich begann ich, Kiros Behauptung Glauben zu schenken.
Endlich
hatten wir den auf uns wartenden Wagen erreicht, und mit einem Hechtsprung warfen
wir uns auf den Rücksitz. Knallend wurden die Türen zugeworfen.
Als
ich sah, bei wem es sich um unseren Retter handelte, weiteten sich meine Augen.
»Hansen? Sie? «
Der
Arzt hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern hämmerte den Gang
hinein und drückte das Gas bis zum Bodenblech durch. Der Motor heulte auf, und
mit quietschenden Reifen schoss der Wagen vorwärts. Eine weitere Kugel surrte
in unsere Richtung, prallte jedoch in schrägem Winkel von der Karosserie des
Wagens ab, ohne in die Fahrerkabine eindringen zu können.
Ich
drehte mich auf dem Sitz herum, um den kleiner werdenden Mann besser zu sehen,
der dem rasenden Fahrzeug mit gezogener Waffe hinterher hetzte. Doch er schoss
kein weiteres Mal, und bald war er zu einem winzigen Fleck am Horizont zusammengeschrumpft,
der schließlich gänzlich verschwand.
Erst,
als wir auf eine viel befahrene Hauptstraße einbogen, drosselte Hansen das
Tempo ein wenig und entspannte sich sichtlich. Auch ich sank kraftlos in mich
zusammen. Mit einem tiefen, erleichterten Seufzer schloss ich die Augen.
Endlich
in Sicherheit.
Aus brennenden
Augen starrte Rainer Freudt dem Heck des davonrasenden Mazdas hinterher, die
Waffe noch immer in der Rechten und den Finger am Abzug. Er begriff einfach
nicht, warum es ihm nicht gelungen war, die Bälger zu treffen – in seiner
Ausbildungszeit war er einst der beste Schütze auf der Polizeiakademie gewesen.
Beinahe war es ihm vorgekommen, als wären die Kugeln von einem außerordentlich
starken Wind abgelenkt worden, als hätte etwas ihre Flugbahn beinahe unmerklich
verändert. Nach allem, was er vor achtzehn Jahren in Seinen Diensten
erlebt hatte, erschien ihm dies längst nicht mehr als ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber
so schnell würde er nicht aufgeben. Man hatte ihm einen Auftrag von ganz oben
erteilt, Versagen kam nicht infrage. Daher begann Freudt ohne zu zögern, sich
an der Fahrertür des nächstgelegenen abgestellten Wagens zu schaffen zu machen.
Er war so in seine Beschäftigung vertieft, dass er weder das Schlagen seidiger
Schwingen über seinem Kopf noch die darauffolgenden federnden Schritte hinter
sich wahrnahm. Erst, als eine kalte Stimme durch die Stille schnitt, schreckte
er auf und fuhr mit einem Ruck herum.
»Du
hast sie entkommen lassen.«
Ein
schmächtiger Mann mit langem, rabenschwarzen Haar war hinter Freudt
aufgetaucht. Er trug einen bis zum Boden reichenden Ledermantel, der die Gestalt
des Fremden umwehte wie gewaltige Flügel, und in seinen Augen lag jener glasige
Blick, den Freudt von den Rednern bei den geheimen Versammlungen kennen und
fürchten gelernt hatte.
»Sie
wussten Bescheid«, antwortete Freudt. »Das konnte ich nicht ahnen. Jemand muss
sie gewarnt haben.«
Der
schwarzhaarige Mann schüttelte mit einem eisigen Lächeln den Kopf. Seine
Gesichtszüge wirkten geradezu schmerzlich jung, aber die Leere in seinen Augen
verlieh ihm den Anschein von Alterslosigkeit.
»Niemand
hat sie gewarnt. Deine stümperhafte Vorgehensweise hat dich verraten. Du hast
dich in Sicherheit gewiegt, dich hinter deiner Autorität versteckt. Doch das
hat nicht gereicht.«
»Nein,
das hat es nicht. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher