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Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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spricht mein Hund nicht so mit mir. Aber ich höre da durchaus eine gewisse Stimme in meinem Kopf, und wer sagt mir, dass das meine ist?
    »Ich würde gerne unterscheiden«, präzisiere ich, »wen wir aus Gewohnheit und wen aus Bedürfnis treffen.«
    Aber das weiß man doch vorher nicht.
    »Dann könnte man sich nie verabreden.«
    Keine Antwort ist auch eine Antwort.
    Vielleicht muss man sich gar nicht verabreden und trifft sich trotzdem. Ich würde das nicht ausschließen.
    »Aber ist es nicht unhöflich, geradezu rüde, andere zu treffen, an denen« – ich wechselte vom Wir zum Ich, um Luna nicht auf mein Niveau herabzuziehen – »mir nicht wirklich liegt, eine Lüge? Andererseits: Kann ich nicht an jedem Menschen etwas finden, das mein Herz berührt, wenn ich wirklich hinschaue?«
    Meine Güte, machst du es kompliziert. Wir sind im Urlaub. Können wir das jetzt auch mal genießen? Schau mal, da vorne ist das Segel von Johannes. Gerade kommt er aus dem Wasser. Ich lauf schon mal vor, okay?
    »Los!«, bestätige ich ihr. Sie galoppiert an, ich brauche mich nicht zu wundern, im Vergleich zu ihr fehlen mir zwei Beine.
    Als Leander starb, wandten sich einige Menschen, mit denen i ch mich gut befreundet glaubte, von mir ab. Sie konnten nicht mit dem Tod umgehen, den ich nun in mir trug, sie wussten nicht, was sie sagen, was sie tun sollten, und mie den mich, vielleicht ohne es zu merken. Je länger sie mich in jener Zeit mieden, als ich sie so dringend wie nie zuvor gebraucht hätte, desto unmöglicher war es, den Kontakt wiederaufzunehmen. Ich war eine Zumutung, Belastung, Be drohung. Gerade als ich am nötigsten auf sie angewiesen war, zogen sie sich zurück, nicht um mich zu strafen, sondern aus Angst. Aber da tauchten andere, neue Menschen auf, die mir plötzlich ganz nah waren. Ohne Vorgeschichte standen sie in meiner zerbombten Wohnstatt, brachten Essen mit und halfen mir beim Umzug. Da begriff ich, dass es nicht auf die Dauer einer Freundschaft ankommt, sondern auf die Tiefe der Begegnung. Eine Begegnung, eine einzige, kann so tief gehen, dass sie Jahre einer treuen Freundschaft überbrückt. Eine solche Begegnung muss man nicht verabreden. Sie geschieht. Ungefähr das könnte Luna gemeint haben, wenn sie etwas gemeint hätte.
    »Ich mach jetzt überhaupt keine Termine mehr in meiner Freizeit aus«, sagte mir kürzlich eine entfernte Bekannte. »Denn es ist immer das Gleiche. Wenn ich mich verabrede, denke ich, das sei eine gute Idee. Sobald ich dann aber hinsoll, habe ich fast nie Lust.«
    Sieh an, der geht es genauso wie mir, dachte ich ertappt.
    »Wenn ich von dem Termin oder Treffen heimkomme«, fuhr sie mit meinem Text fort, »bin ich immer froh, dass ich hingegangen bin, weil es schön war. Aber hin wollte ich nicht. Und es war auch oft gar nicht schön wegen den Leuten. Sondern es war schön, dass ich mal weg war.«
    »Das Aufraffen ist das Problem«, resümierte ich. Und da erstaunte sie mich.
    »Nein«, widersprach sie. »Das Problem ist, dass du es aushalten musst, dass dir die Leute seit Jahrzehnten das Gleiche erzählen. Sie verpacken es anders, aber jeder trägt seine Geschichten mit sich rum. Was für eine Zeitverschwendung. Dabei haben wir alle keine Zeit. Und je älter wir werden, desto knapper wird die Zeit.«
    Ja, damit hatte sie recht. Verrückterweise wurde die knappere und somit auch kostbare Zeit zu großen Teilen mit Dingen verbracht, die man nicht gerne machte. Aber was kann man schon dafür? Irgendwie ist alles so festgelegt. Der Job, das Haus, die Familie, Freunde, Hobbys, was man eben so machen muss, und das wird immer mehr. Wenn man Glück hat, bleiben zwei Stunden pro Woche zur freien Gestaltung, da quetscht man noch ein bisschen etwas von den Erledigungen hinein, die man im regulären Ablauf nicht geschafft hat.
    In der Jugend ist es leicht, Freundschaften zu knüpfen, die halten auch bis in alle Ewigkeit, weil sie beginnen, wenn die Zäune noch niedrig sind, niemand Mauern um seine Seele gezogen hat. Je älter, desto höher die Mauern, meistens. Aber es gibt immer wieder Türen, und manchmal geschieht etwas, das eine Mauer einfach wegsprengt. Gegen einen Todesfall schützt keine Mauer. Als Leander tot war, hatte ich keine Kraft, Höflichkeiten aufrechtzuerhalten, Ja zu sagen, wenn ich Nein meinte. Ich war geistig sehr klar in dieser trüben Zeit und dachte viel darüber nach, wie Leander und ich unsere ge meinsamen Stunden verbracht hatten. Natürlich war es nicht genug gewesen.

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