Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Woche hier sind. Doch bis der Urlaub durch das Gestrüpp des Alltags in die Tiefe sickert, dorthin, wo er am nötigsten ist, dauert es. Das dunkle Blau des Meeres, die karge Schönheit der Steinküste, die bewachsenen Felsen und der Leuchtturm. Auf einmal bin ich ganz da. Gassi in der Gegenwart. Ich atme durch, und es fühlt sich an, als würde sich etwas lösen. Als hätte der in die Tiefe gesickerte Urlaub eine Blase geöffnet, und von dort steigt perlend eine Wahrheit empor. Schau hin, was ist. Finde, was irgendwo da unten auf dem Grund deines Meeres liegt. Was wirklich wichtig ist. Und dann mach was draus. Ich beobachte Luna beim Schnuppern in einer Felsspalte. Für einen Moment gebe ich mich ganz hin und versuche mir vorzustellen, was das Tolle an dieser Felsspalte sein mag. Sie wedelt. Supertolle Felsspalte!
Du und ich, sage ich in Gedanken zu ihr, auf dem Weg zu Johannes, mehr brauche ich gerade nicht.
Später denke ich an zu Hause. Wie oft ich das Gassi-Gehen wie eine lästige Besorgung erledigt habe. Nicht nach dem Schlangenbiss, aber davor. So will ich nicht weitermachen, auch wenn der Ausnahmezustand nun beendet ist. Ich will das, was ich tue, bewusst tun, nicht nur, damit es erledigt ist. Diesen Vorsatz fasse ich keineswegs zum ersten Mal in meinem Leben, und es ist mir klar, dass ich ihn niemals komplett werde verwirklichen können. Aber ein bisschen wenigstens! Dann müsste er auch nicht immer wieder auftauchen, sobald sich die Druckverhältnisse im Urlaub so verändern, dass Blasen platzen und Perlen aufsteigen können.
Wenn ich mich zum Gassi verabrede, bin ich weder richtig bei Luna noch bei den anderen. Typisch Hundebesitzer. Oder findet Luna das dufte? Vielleicht fühlt sie sich anderen Hun den gegenüber benachteiligt, deren Chefs und Chefinnen beim Gassi ständig auf ihren Smartphones rumdrücken, sie anstarren, streicheln, mit ihnen sprechen. Freie Bahn für den Hund. Der läuft mit wie ein technisches Gerät, weil der Hundehalter mit seinem besten Kumpel kommuniziert, ohne den er nicht mehr nach Hause finden würde.
Nein, ich bin keinen Deut besser, auch wenn ich beim Gassi nicht hörbar telefoniere. Ich telefoniere unhörbar, in meinem Kopf: mit mir selbst. Leider hat dieses körpereigene Handy keinen Ausknopf. Und es ist überhaupt nicht kommunikativ, da ich immer nur mit mir selbst konferiere. So gehe ich mit meinem Hund Gassi und spaziere in Gedanken ganz woanders herum. Dabei wäre das Dasein mit Luna so einfach. Ständig bietet sie mir ihre Hilfe an. Läuft vor mir her, wedelt, schnuppert, buddelt, freut sich. Noch mehr Anleitung kann ich nicht erwarten. Indem ich ihr zuschaue und mich mit ihr verbinde, müsste es doch zu schaffen sein, am Jetzt zu schnuppern!
Meine Vorsätze gehen ans Eingemachte: Niemand zwingt mich zu Verabredungen. Leider treffe ich andere manchmal nicht aus dem Bedürfnis heraus, sie zu sehen, sondern weil ein Warnton auf meinem Radar meldet: Du hast XYZ länger nicht gesehen. Ruf an. Verabrede dich.
Womöglich freuen meine lieben Freunde sich gar nicht, dass ich so fürsorglich auf sie schaue, sondern stöhnen: Oje! Jetzt ruft die schon wieder an.
Womöglich haben andere einen längeren Wiedersehenszyklus als ich, sonst würden sie ja auch mal anrufen?
Oder unser Zyklus ist schon längst in der Menopause, und ich habe das gar nicht mitgekriegt in meiner Aufrechterhaltung der Verabredungsordnung.
»Wie wichtig ist es, sich regelmäßig zu treffen?«, frage ich Luna.
Siehst du hier gerade einen, mit dem wir uns treffen, Chefin?
»Nein, natürlich nicht. Jetzt ist keiner da. Ich wollte nur mal wissen, so prinzipiell, ob wir manche vielleicht zu oft sehen.«
Du meinst, ob dir manche von den Leuten, mit denen du dich verabredest, vielleicht gar nicht so wichtig sind, dass wir sie so oft treffen?
»Ich denke eben gerade ganz allgemein über meinen Freundes- und Bekanntenkreis nach. Ob mir Treue wichtiger ist als Abwechslung.«
Aber es ist doch gerade keiner da.
»Nein, natürlich nicht.«
Also muss man sich auch keine Gedanken machen, ob man die- oder denjenigen gerne trifft, wenn es gar nicht möglich ist. Sie oder er könnten auch schon tot sein.
»Na dann wären sie aber sehr wichtig für mich, und ich wäre froh, dass wir sie noch mal getroffen haben.«
Also treffen wir jetzt noch mehr Leute, damit wir dann, wenn sie tot sind, froh sein können, dass wir sie noch mal getroffen haben?
Mein Hund verarscht mich. Oder bin ich selbst es? Natürlich
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