Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
verlieren. Nur empfand sie es mit der Zeit immer anstrengender, Reisemittel zu beantragen, und wenn sie ehrlich sein wollte, hatte so ein Forschungskongress nicht mehr die gleiche Anziehungskraft für sie wie früher, seit rein forschungsmäßig nicht mehr mit ihr zu rechnen war. Sie war nicht mehr auf dem Laufenden, und da war es fast besser, es ganz sein zu lassen. Eine Urlaubsreise ohne jede Verpflichtung erschien da verlockender. Das sagte sie natürlich nicht offen, und schon gar nicht den jüngeren Ärzten gegenüber, die sie unermüdlich zu stimulieren versuchte, die Welt der Forschung zu betreten, unter anderem mit Weltkongressen als Lockmittel, aber so lief es nun einmal ab. Und noch weniger konnte sie sich als Betriebsleiterin von dem immer schmaler werdenden Reisebudget der Klinik bedienen. Da war es wichtiger, großzügig zu sein und den Jungen die Möglichkeit zu geben, herauszukommen und sich umzuschauen.
Sie warf die Einladung in den Papierkorb, zog sich den Mantel an und setzte die gestrickte Mütze in naturfarbener Wolle mit der Rotfuchskante auf, die sie vor vielen Jahren in Dalarna gekauft hatte. Vielleicht war sie inzwischen zu mädchenhaft für sie, und leider doch noch nicht alt genug, um wieder schick, frech oder zumindest originell zu sein, aber die Mütze war warm und saß angenehm.
Es war schon nach zehn Uhr, und sie wollte nach Hause.
Gerade als sie die Tür zum Treppenhaus aufschließen wollte, hörte sie, wie von der anderen Seite ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Fast fiel sie einem der Assistenzärzte in die Arme, der Dienst hatte und grob die Tür aufriss. Beiden war es peinlich, er lachte laut auf, sie kicherte und war wütend über sich selbst, weil sie das tat, vor allem, weil sie wusste, dass die Mütze einen komischen Eindruck machen konnte. Kichern und eine alberne Mütze, das war keine gute Kombination für eine Frau reifen Alters, aber sie fand es auch nicht angebracht, sie abzunehmen, das würde das Ganze noch schlimmer machen. Also gab sie ein paar nichts sagende Sätze von sich, kehrte auf dem Absatz um und ging zu den Treppen. Laura nahm nie den Fahrstuhl, wenn sie es nicht musste. Als sie gerade die oberste Stufe erreichte, rief er noch etwas, das durch das leere Treppenhaus hallte.
»Ach, weißt du«, sagte er dann mit leiserer Stimme, ließ die Tür los und kam mit großen Schritten auf Laura zu. »Heute Abend ist etwas Unangenehmes passiert.« Die gesenkte Stimme gab ihr zu verstehen, dass es sich um etwas Vertrauliches handelte. Vielleicht musste er seiner Chefin gegenüber sein Herz ausschütten, und wenn ein jüngerer Kollege ihre Unterstützung brauchte, dann war sie die Erste, die ihm ein offenes Ohr schenkte.
»Ich komme gerade von der Herzintensivstation, und da habe ich erfahren, dass Johan Söderlund am frühen Abend mit dem Notarztwagen eingeliefert wurde, böse zugerichtet. Er liegt auf der Intensivstation. Die Chirurgen haben es mir erzählt. So ziemlich alle Knochen sind gebrochen. Autounfall, ist angefahren worden.«
Sie schaute ihn starr an, während gleichzeitig kinderpornografische Bilder durch ihre Erinnerung flatterten, Bilder, die sehr unscharf waren, da sie nie als etwas anderes als ein Begriff und eine Anklage existiert hatten, und das wusste sie. Und das war das Schlimmste. Nur sie, niemand sonst wusste das.
Als Laura Ehrenswärd endlich nach Hause kam, war sie erleichtert, dass die Söhne ausgezogen waren und sie alleine lebte. Sie brauchte ihr Gesicht nicht mehr unter Kontrolle zu halten und wurde mit ihrem schlechten Gewissen in Ruhe gelassen.
In dieser Nacht schlief sie schlecht.
Ewa Bengtsson holte die Whiskyflasche aus dem Schrank und schenkte ihrem Mann ein halbes Glas ein. Er nahm das Glas, trank aber nicht.
»Nun trink schon, Tomas«, sagte sie, ihre Stimme war sandig und müde.
Es war schon weit nach Mitternacht, die Stunde der Nachtgeister und des Werwolfs, und das war in ihrem Körper zu spüren. Sie konnte nicht ins Bett gehen, solange Tomas herumlief. Die Kinder schliefen, zum Glück, aber sie musste an ihren morgigen Arbeitstag denken. »Wir können morgen wohl freimachen«, sagte sie. »Wir werden es nicht schaffen, zur Arbeit zu gehen. Ich sehe zu, dass die Kinder aus dem Haus kommen.«
»Nie im Leben«, erwiderte er. »Dann denken die ja, dass ich schuldig bin.«
»Das ist doch nun wohl scheißegal, ob du Schuld hast oder nicht«, sagte sie fast resigniert. »Aber man darf doch wohl einen Tag zu Hause
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