Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
gymnastische Übungen machte, um die Blutzirkulation in den geschwollenen Füßen anzuregen. Vielleicht nützte das ja etwas. Auf jeden Fall war es angenehm. Am liebsten hätte sie ihre Telefonmasten auf einen Stuhl hochgelegt, aber es gab keinen in Reichweite. Und sie war an die Telefonschnur gebunden. Das schnurlose Telefon war noch nicht ausgepackt, sie wusste nicht einmal, in welchem der aufgestapelten Kartons sie hätte suchen sollen.
Der Umzug war eilig vonstatten gegangen, und sie hatten es nicht geschafft, eine Systematik mit den Inhalt deklarierenden Aufklebern auf den Umzugskartons einzurichten. Irgendwann war es nur noch darum gegangen, den Kram so schnell wie möglich einzupacken, sortiert oder unsortiert, so dass der Transport beginnen konnte. Später, wenn alles an Ort und Stelle war, konnten sie sich dann in aller Ruhe dem Auspacken widmen, rein theoretisch. Nur standen sie jetzt vor einer Riesenaufgabe, die keiner von ihnen als lustvoll empfand, eher als notwendiges Übel. Mit anderen Worten, es ging nur zäh voran, sogar äußerst zäh, vor allem, weil sie es entgegen ihren Plänen nicht geschafft hatten, vorher neu zu tapezieren und zu streichen. Es war nicht besonders verlockend, die Möbel in einen halb fertigen Raum zu stellen oder, noch schlimmer, in ein Zimmer, das dunkelblau oder weinrot tapeziert war. Sie hatten es nicht einmal geschafft, sich zusammenzusetzen, um zu besprechen, welches Zimmer erst einmal so bleiben sollte, wie es war, ob sie nun wollten oder nicht. Die Zeit und auch das Geld waren die einschränkenden Faktoren. Sie waren gezwungen, Prioritäten zu setzen, auch wenn eine aufgeschobene Renovierung das Risiko beinhaltete, nie mehr angegangen zu werden. Ein Heim wie aus den Architekturzeitschriften würde es sowieso nie werden, aber man gewöhnt sich daran. Obwohl, Claes vielleicht nicht, da war sie sich nicht so ganz sicher. Sie kannte ihn noch nicht gut genug, nicht in diesen Punkten, aber sie hegte heimlich den Verdacht, dass er der größere Ästhet von ihnen beiden war. Sein früheres, jetzt zusammengepacktes Domizil war im Gegensatz zu ihrem kein einziger großer Kompromiss gewesen.
Ein Umzug, das ist erst wie sterben und dann wie gebären, dachte sie. Alles wird auf den Kopf gestellt, viel muss aufgerissen werden und einiges begraben. Sie wollte vorankommen und deshalb musste sie heute Abend mit ihm darüber reden, wie es weitergehen sollte. Sie würde ausloten, wo die Grenzen seiner Kompromissbereitschaft lagen, beschloss sie und pustete eine Haarsträhne fort, die ihr in die Stirn gerutscht war. Sie müsste sich die Haare schneiden lassen, aber bald würde sie ja Zeit dafür haben. Noch eine Woche, dann begann ihr Mutterschaftsurlaub.
»Aber du lässt doch Claes die Kartons schleppen. Pass auf, dass du nicht so schwer trägst«, erklärte ihre Mutter mit etwas schärferer Stimme. Sie hatte ihre Verstopfungsprobleme verlassen.
»Natürlich trägt Claes die Kartons«, antwortete Veronika ermattet.
Und das stimmte auch. Claes achtete sehr genau darauf, dass sie nicht zu schwer hob. Er war überhaupt sehr besorgt um sie, so aufmerksam, dass sie Schauer von etwas überliefen, was vielleicht Glück war. Sie war in dieser Beziehung nicht gerade verwöhnt und genoss es, aber sie konnte auch ihre arme alte Mutter verstehen. Sie konnte sich schon vorstellen, dass diese ein wenig überfordert damit war, zu einem Zeitpunkt noch einmal Großmutter zu werden, zu dem es eigentlich eher Zeit für Urenkel wäre. Aber es spielt ja keine Rolle, was Mama sagt und denkt, dachte Veronika, die die eigene Nabelschnur schon vor langer Zeit durchgeschnitten hatte. Sie zumindest war davon überzeugt.
Veronika strich sich über den strammen Bauch und zog den Pullover herunter, der kaum noch ausreichte. Sie tauschten noch einige allgemeine Phrasen aus, und dann legte sie auf. Langsam stand sie vom Telefonhocker auf und ging zur Toilette. Sie musste schon wieder pinkeln.
Sie erwartete ein Kind, das sie nicht geplant hatte. Genauer gesagt hatten beide es nicht geplant. Man plant kein Kind, wenn man vierundvierzig ist. Das ist etwas, was man bekommt, wenn das Schicksal es so will, eine Gnade. Oder auch eine Ungnade. Wie man’s nimmt.
Sie hatte es darauf ankommen lassen und nicht verhütet. Sie hatten nie über ein Kind geredet, jeder hatte für sich gewohnt, und das klappte prima, es gab keinen Grund, das zu ändern. Mit sehr ambivalenten Gefühlen hatte sie ihm dann berichtet, was Sache war.
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