Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
gelungen, die große Ungewissheit von sich zu schieben. Wie würde es in Zukunft sein? Die Wohnung war auf jeden Fall für sie allein zu teuer. Es gab so viel, worum sie sich kümmern musste, so viel, dass es sie lähmte. Wie sehr sie sich auch einzureden versuchte, dass sich schon alles regeln würde, wenn sie nur eins nach dem anderen anpackte, so überfiel sie doch immer wieder die Unruhe, die Wut, die Trauer in einem nie versiegenden Strom. Das nagte und zerrte an ihr. Die Tränen kamen und gingen, und sie konnte weder schlafen noch still sitzen. Sie konnte die Telefonanrufe nicht mehr ertragen, in denen immer mit den gleichen Worten, immer im gleichen Ton der Verlust bedauert wurde. Sie verstanden ja doch nichts. Immer häufiger stellte sie das Telefon ab oder ging einfach nicht dran. Das war natürlich irgendwie dumm, das sah sie selbst ein. Sie musste aufpassen, dass sie sich nicht isolierte, aber sie konnte einfach nicht anders.
Sie war verlassen, einsam, allein gelassen, aber niemand sollte Macht über sie haben.
Er hatte sie im Stich gelassen, und sie würde allein zurechtkommen, das hatte sie vor.
Seine »Kollegen« hatten ihn verändert, hatten ihn zerstört, und deshalb war sie jetzt einsam. Sie hatten auch ihr Leben zerstört. Jetzt war das Schlimmste eingetroffen. Schlimmer kann es jedenfalls nicht mehr werden, dachte sie und fühlte eine Art Trost dabei. Aber verdammt, wie hatte er sie im Stich gelassen, nach all den Jahren, nach allen Gesprächen, sie hatte ihm immer zugehört, immer Geduld gehabt, ihn mit Liebe überschüttet!
Die Tränen drängten sich wieder hervor, drückten von innen hoch und traten schließlich an die Oberfläche, und sie schluchzte, heulte, putzte sich die Nase und weinte wieder, und danach fühlte sie sich etwas besser, auch dieses Mal wieder, aber eine direkte Erleichterung war es nicht. All das Schreckliche war noch zu nah.
Es war nicht wichtig, dass der Tag bald anbrach, sie musste sowieso nicht in die Bibliothek. Die Krankschreibung war ein Segen, der Arzt hatte es als akute Krisenreaktion bezeichnet, und er hatte nicht viel gesagt, eigentlich nur das Formular für die Krankenkasse ausgefüllt und erklärt, dass es meistens nach der Beerdigung leichter wurde, und ob sie Schlaftabletten haben wolle, die seien nicht gefährlich, wenn man sie nur nicht zu lange nehme. Aber sie lehnte dankend ab. Es war nicht so wichtig, ob sie nun schlief oder wach war, sie bekam schon genügend Schlaf. Sonst könne sie immer noch anrufen, um sich ein Rezept zu holen.
Sie holte Johans Brief hervor und las ihn wieder, wusste nicht, zum wievielten Male. Sie hatten ihn unfassbar gekränkt. Er war ihr so nah gewesen, Haut an Haut im gleichen Bett und das mit gebrochenem Herzen. Doch das Schlimmste war, dass sie es die ganze Zeit gewusst hatte, aber nichts hatte tun können.
Wie konnten diese Menschen nur so herzlos sein? Ärzte, die herzlos waren, war das überhaupt möglich? Sie waren böse, das war die reine Bosheit.
Sie verfluchte sich selbst, nicht stärker darauf gedrängt zu haben, dass er zu einem Psychologen oder Psychiater ging. Sie hatte gebettelt und gefleht, argumentiert und genervt, aber er hatte sich geweigert, war nur wütend geworden, und sie musste einsehen, dass es das Beste war, wenn sie schwieg. Ein Arzt versucht sich selbst mit seinen eigenen Methoden zu kurieren, mit eigenen Pillen nach eigenem Rezept, so viel hatte sie begriffen. Kein Zeichen der Schwäche durfte bei einem Seelendoktor gezeigt oder ausgebreitet werden. Niemand sollte in seinem Inneren herumwühlen. Das, was er schon hatte ertragen müssen, genügte, so hatte er sie angeschrien, und sie konnte immer noch spüren, wie die Wut sie direkt anfiel und sie Angst bekommen hatte. Als sie an diese Situationen dachte, hörte sie abrupt auf zu weinen, und das Unbehagen kam wieder wie damals angekrochen.
Dieser Fachidiot von der Gewerkschaft war keine größere Hilfe gewesen, abgesehen von den Formalitäten. Sicher, er hörte zu, aber er machte nichts. Niemand wagte etwas zu tun. Keine Hilfe, keine Hoffnung, nichts Konkretes. Alle hüteten sich. Keiner traute sich, den Mund aufzumachen und offen zu sagen, wie kaputt das Klima im Krankenhaus war. Niemand wollte etwas davon wissen, sie hingen alle miteinander zusammen. Also zupften sie vorsichtig an den Kanten, trauten sich aber nicht in die Höhle des Löwen. Es war das Einfachste, Johan als das größte Problem auszugucken. Johan bekam das Kreuz aufgedrückt.
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