Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Aber Johan wollte Genugtuung. Er hatte auf die Rache hingearbeitet.
Und jetzt war sie es, die den Auftrag übernehmen musste. Sie würde sich für ihn rächen.
Die Uhr der alten Kirche schlug zehn. Sie zog sich warm an, schloss die Tür hinter sich ab und trat auf die Straße. Die Kälte tat ihr gut.
Der Abendspaziergang hatte seine feste Route, und während sie schnell mit schwingenden Armen ging, schlug ihr Herz heftig, aber vor Anstrengung, nicht aus Verzweiflung. Der Druck in ihrem Kopf nahm ab, die Gedanken drehten sich nicht mehr im Kreis, und ihr Gehirn begann stattdessen richtige zusammenhängende Gedankenketten zu produzieren, so dass sie sich nicht mehr so niedergeschlagen fühlte.
Vielleicht konnte sie sich jetzt ein eigenes Leben schaffen. Sich nicht nur Sorgen um ihn machen und seinem Gerede über seinen verdammten Job zuhören. Sein Arbeitsplatz hatte ihre Ehe geprägt, sich wie eine Seuche in sie hineingefressen.
Sie überquerte den Friedhof, der dunkel und still dalag, sie ging über die Eisenbahnschienen in Richtung Hafen, bog dann aber in den Stadtpark unter die hohen, kahlen Bäume ab, auf einen Kiesweg, der jetzt von Eis und Schnee bedeckt war und zu dem ältesten Stadtteil führte, wo die Häuser eng beieinander standen. Die Holzfassaden waren fast alle renoviert und in sanften Tönen gestrichen: grau, gelb, rosa und natürlich rostrot mit weißen Beschlägen. Die niedrig sitzenden Fenster hatten Sprossen, und sie schaute in ein Familienidyll nach dem anderen hinein und fühlte sich immer nackter und verlassener. Sie sah Menschen vor den Fernsehschirmen, unter dem Schein einer Lampe mit einem Buch, über einen Schreibtisch gebeugt, am Esstisch mit Kerzen, und überall glaubte sie eine Zusammengehörigkeit zu spüren. Ihre Einsamkeit drückte sie schwer, trotzdem konnte sie es nicht lassen, sie musste weiter auf diese trügerische Gemeinsamkeit gucken, die bei ihr Übelkeit hervorrief. So war die Wirklichkeit, und das musste sie ertragen. Sie malte sich aus, wer wohl hinter den Fassaden lebte, was sie arbeiteten, welche Hobbys sie hatten, wie alt sie waren, ob sie Kinder oder Enkelkinder hatten, ob sie reich waren oder nur versuchten reich auszusehen, sich eigentlich übernommen hatten, ob sie nett oder langweilig waren. Sie gab den Häusern Namen nach ihren offensichtlichen Kennzeichen: das Haus mit dem Kronleuchter, das Haus mit den Kerzen im Fenster, das Haus mit den vielen Bücherregalen und den schönen Gemälden, das unordentliche Haus, das hypermoderne Haus, die Perfektionisten und so weiter.
Sie ging weiter mit festem Schritt, und sie weinte nicht mehr. Sie machte eine Pause in ihrem Trauergesang.
Das Licht der Straßenlaternen wurde kräftiger und kaltblau, als sie die Altstadt verließ und in eines der neueren Viertel kam. Die Häuser stammten aus den Sechzigern, stereotype, rechteckige Kästen, eher wie ordentlich gebackene Brote. Dann kam eine Straße mit Reihenhäusern aus der gleichen Zeit, aber die waren sehr viel hübscher mit Erkern, Sprossenfenstern, und auch hier begann sie wieder nach besonderen Kennzeichen zu suchen. Das Haus mit den hässlichen Gardinen, das mit den schönen Lampen im Fenster, das mit den komischen Sachen an der Wand, das mit den antiken Möbeln.
Sie war eine leidenschaftliche Fensterguckerin. Obwohl sie so traurig war, fand sie darin dennoch eine Art Ruhe, vielleicht sogar Trost und ein klein wenig Erregung, wenn sie heimlich in die Welt anderer Menschen guckte, in Alltagsszenarien, von denen sie meinten, sie wären privat.
Es interessierte keinen Menschen, was sie tat, und sie musste niemandem Rechenschaft über ihre Handlungen ablegen. Keinem Einzigen. Nicht einmal Johan. Die Fantasie gehörte ihr ganz allein, damit hatte niemand etwas zu tun. Es gab Schlimmeres, den Tod zum Beispiel. Das wusste sie.
Und dann kam sie endlich zu dem Haus, in dem Laura wohnte.
Johan hatte am wenigsten von Laura gehalten, und trotzdem hatte er sie am meisten geschätzt. Es war schon merkwürdig mit dieser Laura. Was hatte sie eigentlich an sich? Lena war klar, dass sie eine Art magische Kraft haben musste. Sie hatte so viel von dieser Laura gehört, dass sie es leid war, und manchmal hatte sie sich gefragt, ob er im Grunde genommen nicht auch von ihr verhext worden war, eingefangen von ihrer Kraft und ihrem Perfektionismus, ihrem Anspruch auf absolute Kontrolle und ihrer Überheblichkeit, aber auch von ihrem großen Können. Eine gute Ärztin, ja, das war sie. Das
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