Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
ängstlich, sich zu verrennen. So sah sie, die Jüngere, ihn zumindest. Was Claesson von ihm hielt, wusste sie nicht, vermutlich schätzte er ihn sehr, rechnete mit ihm, da man sich auf Lundin verlassen konnte, und vielleicht hatte Claesson so viel Respekt vor Lundin, weil der mehr Erfahrung hatte, obwohl Claesson der Chef war. Außerdem konnte er sowieso nicht alles schaffen, und jetzt mit Kind und seiner neuen Vaterrolle schon gar nicht.
Diesmal also kein Messer, sondern eine Pistole. Gab es einen Zusammenhang? Das heutige Mordopfer war eklig anzusehen, obwohl sie vielleicht hübsch gewesen war. Irgendwann mal.
Mit einer fünfzigjährigen Frau wird Rickard ja wohl nicht herumgemacht haben, dachte sie. Aber man konnte nie wissen, sexy junge Männer mit alten Tanten, das schien ein neuer Trend zu sein. Rickard war vielleicht drauf angesprungen. Er war möglicherweise nicht zufrieden mit dem, was er von ihr, Erika, bekam. Ihr Sex genügte nicht, er musste sich da Abwechslung verschaffen.
Jetzt saß er hinter Schloss und Riegel, die Gerichtsmaschinerie war ausnahmsweise einmal schnell gewesen, aber er war ja auch mehr oder weniger auf frischer Tat ertappt worden. Misshandlungstaten waren in letzter Zeit bevorzugt behandelt worden, es gab nach den letzten Berichten bessere Voruntersuchungen und weniger Verzögerungen. Man nahm nicht mehr hin, dass vierzig Prozent der Fälle, in denen Frauen misshandelt worden waren, auf Grund schlechter Recherchen, Beweismangel, zu geringem Interesse, zu wenig Zeit und Ressourcen abgeschrieben werden mussten.
Aber wenn sie näher darüber nachdachte, konnte sie nicht ganz ausschließen, dass Rickard auch dort gewesen war. Die Alte gebumst hatte, bis sie schrie und den nächsten Tag kaum noch laufen konnte. Oh verdammt!
Du darfst dich nicht immer nur an deinem Unglück festhalten, durchfuhr es sie, und sie hörte die Stimmen der Freundinnen, eine nach der anderen, und alle im Chor. Übrigens hatte sie die Freundinnen sortieren können, einige von ihnen hatten die Prüfung nicht bestanden. In einer Krisensituation erkennt man erst, auf wen man sich verlassen kann.
»Du musst aufhören, die Sache immer wiederzukäuen, sieh lieber das Gute, deine Fortschritte, sieh deine Stärke!« Mein Gott, welche Plattitüden sie sich hatte anhören müssen.
Bei ihrer Rückkehr zur Arbeit war sie nervös gewesen, doch es war alles gut gelaufen. Sie genoss es, wieder etwas zu tun zu haben. Sie war allen dankbar, die sie nicht fragten, wie es ihr ging, einfach weil sie keine Antwort auf so eine Frage gewusst hätte, jedenfalls nicht spontan. Es blieb bei einem vagen »so einigermaßen«, weitere Ausführungen sparte sie sich für gewisse Auserwählte auf. Zu denjenigen, die sie angemessen aufnahmen, ohne ihr Äußeres mit der Lupe betrachten zu wollen – das übrigens wieder ganz manierlich aussah – oder das Innere, gehörte unter anderem Lundin. Und Claesson natürlich, und Jesper Gren, und in gewisser Weise auch Louise Jasinski. Aber diese brauchte nicht zu fragen, sie wusste, wie das war, was Erika durchgemacht hatte, Louise hatte Erika auf ihre feinfühlige Art zugehört und mit ihr geredet. Nicht in psychologisch schleimigem Ton, sondern ganz einfach verständnisvoll, und jetzt besaß Louise außerdem noch den Takt, nichts zu sagen, und sie nahm auch keine besondere Rücksicht auf Erikas »zerbrechlichen Zustand«. Nur so wurde sie nicht gebrandmarkt. Jetzt musste sie nur dafür sorgen, dass sie sich selbst nicht brandmarkte.
Eine misshandelte Frau. Würde sie für den Rest ihres Lebens eine misshandelte Frau bleiben?
Sie stand am Küchenfenster und biss in ihr Brot. Das beschlagene Bierglas stand auf der Fensterbank. Es regnete, der Himmel war trübe und grau, und eine leichte Vorahnung des Herbstes kündigte sich an. Man spürte es jetzt schon, am vorletzten Julitag, aber das Licht nahm ja seit dem Mittsommertag bereits ab.
Peter Berg hatte sie vorhin nach Hause gefahren, obwohl sie lieber gelaufen wäre, aber er hatte darauf bestanden. Vielleicht nicht direkt darauf bestanden, aber es wäre komisch gewesen, sein Angebot abzulehnen. Sie hätte es ihm erklären müssen, und eine glasklare Erklärung hatte sie nicht, es war eher ein Gefühl, also stieg sie zu ihm ins Auto. Sie sprachen nicht viel, nur kurz über den Mord, aber die Unterhaltung kam nicht richtig in Gang, beide wollten das Bild des abstoßenden Körpers möglichst loswerden, so müde wie sie nach all den Überstunden
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