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Lust auf ihn

Lust auf ihn

Titel: Lust auf ihn
Autoren: Kiara Singer
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einem Meeting zum nächsten, beantwortete E-Mails, las Dokumente oder schrieb selbst welche, doch kaum war sie abends auf ihrem Zimmer angekommen, erfasste sie ein tiefes Gefühl der Leere, Einsamkeit und Traurigkeit. Dann telefonierte sie zunächst mit Jochen, der ihr aber ihre unbehaglichen Gefühle ebenso wenig nehmen konnte. Sie überlegte sich, bei nächster Gelegenheit einmal einen Facharzt aufzusuchen, denn immerhin konnten dies ja bereits die ersten Symptome der ihr irgendwann bevorstehenden Wechseljahre sein, die sich auch bei ihrer Mutter recht frühzeitig eingestellt hatten.
    Anfangs versuchte sie abends noch ein wenig zu lesen, und zwar meist irgendwelche historischen Liebesschmöker, wie sie es seit ihrer Mädchenzeit vor dem Einschlafen praktizierte, doch schon nach wenigen Wochen gab sie auch das wieder auf, da sich ihre Gedanken nur noch im Kreise drehten, und sie bei ihrer Lektüre kaum mehr von der Stelle kam.
    Eines Tages musste sie mit einer Kollegin bis spät in den Abend hinein konzentriert und angestrengt an einem dringenden Fall arbeiten. Im Anschluss daran suchten sie – so angespannt sie beide waren – gemeinsam ihre Hotelbar auf, um ein wenig zu relaxen und besser schlafen zu können. Schon der erste Schluckihres Proseccos löste eine solche Entspannung und unerwartete Heiterkeit bei ihr aus, dass sie unmittelbar und für alle Zeiten für weitere einsame Abende auf ihrem Hotelzimmer verloren war.
    Aber dies lag wohl nicht nur an dem von ihr gewählten köstlichen Getränk und dem sich darin befindlichen Alkohol, sondern auch an der ganzen Atmosphäre, die sie dort umgab, wozu nicht nur die vereinzelten einsamen und scheinbar gänzlich in sich versunkenen, überwiegend männlichen Gestalten beitrugen, sondern auch das geradezu atemberaubend schöne Klavierspiel, welches auf einem von künstlichen Pflanzen umstellten und dadurch für sie nicht einsehbaren Flügel zum Klingen gebracht wurde. Stellenweise erinnerte sie die dargebotene Musik an Keith Jarrett und dessen berühmtes Köln Concert, welches schon immer zu ihren absoluten Lieblingsschallplatten gehörte, zumal sie damit sehr viele persönliche Erinnerungen verband. Sie beschloss noch auf der Stelle, sich in Zukunft jeden Abend an die Bar zu setzen und sich einen kleinen Absacker zu genehmigen, wie sie ihre alkoholische Auffrischung liebevoll nannte. Schon bald sollten aus dem einen Getränk zwei oder gelegentlich auch drei werden.
    Auch wenn die von der Hotelbar ausgestrahlte Stimmung eher etwas Deprimierendes an sich hatte, fühlte sie sich dort jedoch heimisch, schließlich entsprach sie exakt ihren momentanen Empfindungen. An manchen Abenden kam sie sich gar wie ein hoffnungslos in ihren Traummann verliebtes junges Mädchen vor, der aber bereits den ganzen Abend mit einer sehr aufreizend gekleideten Schönen tanzte und somit für sie überhaupt keine Augen hatte. Als dann exakt in einem solchen Moment auch noch ein regelrecht tragisch intoniertes „Save the last dance for me“ durch den Raum schwebte und jeden Winkel zu erobern begann – ihr Herz natürlich auch –‚ bestellte sie sich rasch einen weiteren Prosecco und trocknete zugleich ihre Wangen diskret mit einem Taschentuch. Denn die anderen Gäste sollten nicht merken, wie es innerlich um sie stand, und dass sie längst ganz verhalten zu weinen begonnen hatte.
    „Darf ich mich ein wenig zu Ihnen gesellen?“
    Sie erschrak, als eine angenehm männliche Stimme sie aus ihren Tagträumen riss. Verwirrt, wie sie war, versuchte sie sich zu sammeln, um dann aber sogleich enttäuscht festzustellen, dass die wunderschöne Musik in der Zwischenzeit verklungen war. Neben ihr stand ein elegant gekleideter, hochgewachsener und hinreißend lächelnder junger Mann von vielleicht 22 Jahren, der ihr auf Anhieb sehr sympathisch war.
    „Warum eigentlich nicht? Ich wollte ohnehin nur noch die Musik zu Ende hören, meinen Drink leeren und mich dann schlafen legen. Aber gerne können wir uns so lange noch unterhalten“, brachte sie betont nüchtern hervor.
    Der junge Mann nahm neben ihr Platz und schloss sich ihrer Getränkewahl an. Unvermindert neugierig schaute er sie an.
    „Ich glaube, die Musik ist für heute bereits zu Ende, jedenfalls ist sie das sonst immer um diese Zeit. Hat sie Ihnen gefallen? Ach, wenn ich mich vorstellen darf: Ich heiße Marcel.“
    Seine geschliffenen Umgangsformen weckten ihr Interesse.
    „Angenehm, und ich Lisa.“ Sie nickte ihm freundlich zu.
    „Ja
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