Lust de LYX - Ergebener der Lust (German Edition)
genug gewesen, um in ihm den Hunger nach mehr zu wecken.
»Ganz schön stickig dort drinnen, nicht wahr?«
Als Tariqs Stimme von rechts an sein Ohr drang, öffnete Ashur die Augen und wandte sich um, erstaunt darüber, dass ausgerechnet sein ältester Bruder ihm nach draußen gefolgt war.
Da er auf den Thron verzichtet und beschlossen hatte, zusammen mit Mira in der Menschenwelt zu leben, trug Tariq im Gegensatz zu Nasir und Ashur keine militärische Uniform. Sein schwarzer Anzug war adrett, allerdings stach er damit unter der im Schloss versammelten Elite als Bürgerlicher heraus.
Ashur lehnte sich an die Brüstung und ließ den Blick über die nebelverhüllte Stadt unter ihnen schweifen. Das Meer dahinter verschmolz mit dem Horizont. »Das kann man wohl sagen.«
Sie hatten seit Ashurs Rückkehr kaum gesprochen. Zwischen ihnen war so viel passiert, dass Ashur nicht wusste, wo er anfangen sollte. Da Tariq anlässlich dieser Feier zum ersten Mal aus der Menschenwelt zu Besuch gekommen war, hatte sich bisher noch keine Gelegenheit für ein längeres Gespräch geboten.
Tariq trat nun ebenfalls an die Brüstung. »Nasir wird ein vorbildlicher König werden. Das Volk liebt ihn. Und hast du gesehen, wie gut sie Kavin aufgenommen haben? Sogar Vater ist ganz hingerissen von ihr.«
Ashur beobachtete eine Möwe, die kreischend über der Stadt segelte. Das war nach seiner Heimkehr der größte Schock überhaupt gewesen. Dass ihr Vater, der sonst immer behauptet hatte, dass kein Stamm den Marid das Wasser reichen konnte, Kavin derart zu bewundern schien. »Es liegt an ihrer Schönheit. Vater hatte schon immer eine Schwäche für bildhübsche Frauen.«
Tariq lächelte. »Wer hätte das gedacht? Bald schon wird eine Ghul-Frau Königin sein.«
Ashur jedenfalls nicht. Niemals. Andererseits – hätte jemand ihm prophezeit, dass ein Engel ihr Königreich vor den Schrecken eines Krieges bewahren würde, hätte er denjenigen gewiss nur ausgelacht.
Der harte Ball unter seinen Rippen schien anzuschwellen, doch er achtete nicht darauf. »Wirst du all das hier nicht vermissen?«
»Diese ganzen Feierlichkeiten und Pflichten, ohne je einen Moment für mich allein zu haben? – Nein, kein bisschen.«
Ashur warf seinem Bruder einen kurzen Seitenblick zu. Tariq meinte es wirklich ernst. »Aber du liebst dieses Königreich! Das hast du schon immer getan.«
Sein Bruder stellte einen Fuß auf die unterste Geländerstange und blickte nun auch zu der Stadt hinunter. »Das tue ich auch noch. Aber mein Herz gehört nicht hierher. Um ein gerechter König zu sein, muss man sowohl mit dem Verstand als auch mit dem Herzen regieren. Doch meines ist in der Menschenwelt, und dort wird es auch immer sein. Ich denke, ein Teil von mir wusste das schon früher. Darum war ich so rastlos und konnte mich meiner Verpflichtung nicht beugen, als Vater es forderte. Es ist mir nicht bestimmt, hier zu leben, Ashur.«
Der Klumpen, den Ashur in seiner Brust spürte, begann zu glühen. War es
ihm
denn bestimmt, hier zu leben? Er war sich nicht sicher. Er fühlte sich verloren. Nichts in dieser Welt machte ihn wirklich glücklich – weder sein Zuhause noch die Familie oder seine Freunde. Er hatte das Gefühl, als wäre er unvollständig, als fehle ein Teil von ihm. Und jedes Mal, wenn er an Claire dachte, fragte er sich unwillkürlich, ob ihr Licht dieser fehlende Part sein mochte.
»Du verlierst sie, nicht wahr?« Ashur fragte das eher, um sich abzulenken – nicht, weil ihn die Antwort so sehr interessierte. »Deine Kräfte, meine ich? Du wirst nicht mehr sehr viel länger zwischen den Welten pendeln können, oder? Und selbst das ändert nichts an deiner Meinung?«
»Jemanden zu lieben bedeutet, Allah ins Angesicht zu blicken. Und wenn man das einmal getan hat, wie könnte man anschließend so weitermachen wie zuvor?« Tariq schüttelte energisch den Kopf. »Vater mag mit meiner Entscheidung nicht einverstanden sein, aber Mutter weiß, dass ich nie ein guter König geworden wäre. Nicht ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Denn ohne unser Herz sind wir nichts, Ashur. Ohne Herz sind wir so kalt und böse wie Zoraida. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich möchte nicht enden wie sie. Macht, Ansehen, Ruhm … das alles bedeutet mir inzwischen nichts mehr.«
Es erstaunte Ashur, dass Tariq offenbar nicht hörte, wie laut sein Herz klopfte. Nach all diesen Dingen hatte er früher gedürstet. Nach Macht und Ansehen. Ashur hatte stets nach dem Ruf gestrebt,
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