Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
die Welt nicht mehr. Da hatte sie diesem
engelsgleichen Miststück mal gründlich eins auswischen wollen, und dann
passierte offensichtlich genau das Gegenteil. Selbst den Anschiss des
Direktors, der ihr, Sybille, wegen der so offensichtlichen Fehleinschätzung von
Magdalenas Deutscharbeit einen ordentlichen Einlauf verpasst und sie angewiesen
hatte, die Benotung von Ausreichend auf Sehr gut zu korrigieren,
hatte sie nur mit einem milden Lächeln auf dem Gesicht zur Kenntnis genommen,
in der Gewissheit, Magdalena durch das Gespräch mit ihrem Vater viel mehr
Schaden zugefügt zu haben, als es eine dämliche Schulnote jemals zu tun
vermochte.
Tief in ihre wenig erfreulichen
Gedanken versunken, sah Sybille Ravensburger aus dem Augenwinkel, wie sich in
der rechten hinteren Ecke des Klassenraums eine Hand gegen die Decke streckte. „Frau
Ravensburger“, hörte sie im nächsten Moment ihren Namen. „Ja, bitte, was gibt’s
denn?“, fragte sie verstört und sah auf. Aha, so, wie er mit dem Arm in der
Luft herumfuchtelte, schien es ihr Schüler Renke ganz dringend zu haben. Sie
hatte ihren Deutschkurs an diesem Tag absichtlich mit einer schriftlichen
Textinterpretation beauftragt, weil sie keine Lust auf Konversation gehabt
hatte, nachdem Magdalena wider Erwarten so außerordentlich gut gelaunt war.
Hoffentlich fasste der Junge sich also kurz.
„Ähm“, Renke zeigte ein
verlegenes Grinsen, während seine sonst so blasse Haut die Farbe eines frisch
gegarten Hummers angenommen hatte.
„Nun sag schon“, zischte ihm
seine Tischnachbarin Mareike zu, während alle anderen gespannt wie die Flitzebögen
auf ihren Stühlen saßen und albern kicherten.
„Ähm, also“, Renke holte tief
Luft, „Frau Ravensburger, ähm ... stimmt es, dass Sie auch ein ... ähm ...
also, eine ...ähm ... sexuelle Beziehung zu Raffael Winter hatten?“
Während Sybille bei diesen Worten
augenblicklich das Blut aus dem Kopf in die Beine schoss, und sie nach Luft
schnappend glaubte, im nächsten Moment in Ohnmacht fallen zu müssen, brach ihr Deutschkurs
in lauten Jubel aus und klopfte ihrem Held Renke anerkennend auf den Rücken.
„Was ... was
...“, japste Sybille nach Worten suchend vor sich hin. Es war ihr jedoch unmöglich,
einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, einen klaren Satz zu
formulieren. Mit letzter Mühe stemmte sie sich mit den Armen am Pult ab und
begab sich in die Senkrechte. Prompt wurde ihr schwarz vor Augen, und, während
sie sich schwankend in Richtung Tür bewegte, hörte sie nur noch ein Rauschen in
den Ohren, das, wie das Geräusch eines sich entfernendes Autos, leiser und
leiser wurde, bis es ganz verschwand – und Sybille Ravensburger wie eine ihrer
Fäden beraubten Marionette in sich zusammenfiel und hart auf den Boden des
Klassenzimmers aufschlug.
„Oh Gott, wie peinlich ist das denn!“, war das erste, was Hauptkommissar David Büttner hörte, als er mit
seinem Assistenten Sebastian Hasenkrug das Schulgebäude des Johannes-Althusius-Gymnasiums
durch den Haupteingang betrat. Die Stimme kam ihm sehr bekannt vor, und schon
im nächsten Moment erblickte er seine Tochter Jette, die sich mit einigen
Klassenkameraden in der Pausenhalle aufhielt, weil es soeben zur großen Pause
geläutet hatte. „Mann, ey, Papa, du bist echt so was von oberpeinlich!“, setzte
sie noch eins drauf, als er ihr mit einem verschmitzten Augenzwinkern zuwinkte.
„Wo geht’s denn hier zum Lehrerzimmer,
mein Schatz?“, rief er ihr bewusst provokativ zu, trat neben sie und gab jedem
ihrer Freunde einzeln die Hand.
„Andere Richtung“, schnaubte
Jette ungehalten und zeigte den Gang hinab. „Gleich rechts.“
„He, Mann, hat’s hier etwa `nen
Mord gegeben, oder was?“, wagte sich einer ihrer Freunde hervor und blickte
Büttner von oben bis unten prüfend an. „Haben Sie auch `ne Knarre dabei?“, fragte
er mit glänzenden Augen.
„Ach, halt doch die Klappe, Tjark.“
Jette zog ihren Kumpel unwirsch am Arm Richtung Schulhof, die anderen der Meute
folgten ihnen mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.
Büttner lief gut gelaunt den Gang
hinab und klopfte wenig später an die Tür des Lehrerzimmers. Ein junger, ein
wenig zerzaust aussehender Lehrer öffnete ihm die Tür und sah ihn mit finsterem
Blick an. „Sprechstunde ist morgen“, sagte er knapp.
Büttner zog seine Polizeimarke
aus der Jacke und hielt sie ihm unter die Nase. „Mein Name ist Büttner, das
hier neben mir ist mein Kollege Hasenkrug. Wir sind
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