Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
sich nur wünschten. Ständig hatten sie bei
Freunden übernachtet oder waren ins Zeltlager gefahren. Wer weiß, hatte ihr
Vater dann gesagt, was man da so alles mit den Kindern anstelle, welche
Freiheiten die da hätten, welche Flausen man ihnen womöglich in den Kopf setze.
Sodom und Gomorrha sei das in dieser Familie. Anfangs hatte Magdalena noch ab
und zu mit ihren Vettern Fabian und Tobias, die nicht weit von ihnen gewohnt
hatten, spielen dürfen, aber schließlich hatte ihr Vater es ihr verboten, weil,
so meinte er, sie einen schlechten Einfluss auf seine Tochter hätten. Ebenso
hatte er seiner Frau untersagt, mit ihrer Schwester Kontakt zu halten.
Magdalena war über diese Entscheidung tieftraurig gewesen, denn mit den beiden
Jungen und mit Tante Margret war es immer sehr lustig gewesen. Sie waren über
Wiesen und Felder gestreift, hatten Verstecken und Fangen gespielt und sich im
Sommer gegenseitig nass gespritzt. Soviel Spaß wie damals hatte Magdalena nie
wieder gehabt. Mit ihrer Einschulung war das sowieso alles vorbei gewesen. Ihr
Vater war der Ansicht gewesen, jetzt seien andere Dinge wichtig, schließlich
solle aus ihr mal ein anständiger und gelehrter Mensch werden. Von nun an hatte
sie keine Freunde mehr einladen dürfen, sondern mit ihrer Mutter den ganzen
Nachmittag über den Hausaufgaben gesessen und Zusatzaufgaben gelöst, die, so
ihr Vater, der Vertiefung ihres Wissens dienen sollten. Außerdem hatte sie mit
dem Klavierspiel angefangen und ihre Eltern zum Bibelkreis begleitet. Ja, ihr
Vater hatte dafür gesorgt, dass Magdalena ihre, so sagte er, negativen Eigenschaften,
wie ihre Lebhaftigkeit und ihre Neugierde, nicht ausleben konnte, sie dafür
aber eine gewissenhafte, gehorsame und gottesfürchtige junge Frau wurde. „Für
seine Gene kann man nichts“, hatte er gesagt und seiner Frau einen
vorwurfsvollen Blick zugeworfen. „Aber man kann etwas dagegen tun, dass die
negativen Charaktereigenschaften die Oberhand gewinnen. Mit Gottes Hilfe machen
wir dich zu einem anständigen Menschen, Magdalena. Dass du ganz offensichtlich
die Eigenschaften deiner Tante Margret mit dir herumträgst, ist eine schwere
Bürde. Aber, wie du weißt, setzt uns Gott der Herr immer wieder Prüfungen aus.
Deine Last wiegt schwer, aber durch seine Güte und Gnade wirst du sie bald
überwunden haben.“
Vor diesem Hintergrund war nicht
nur sie, sondern auch ihre Mutter mit den Jahren immer ruhiger geworden.
Während Magdalena sich der Schule, dem Klavierspiel und der Bibelexegese
gewidmet hatte, war ihre Mutter meistens mit Arztbesuchen beschäftigt gewesen.
Ja, ihre Mutter war mit den Jahren immer blasser und kränklicher geworden. Sie
hatte sich aber nie beschwert. Magdalena hatte sich häufig Sorgen um sie
gemacht, aber wenn sie etwas gesagt hatte, hatte auch ihre Mutter nur lächelnd
auf Gottes Willen verwiesen. „Das wichtigste ist doch“, hatte sie dann gesagt,
„dass wir ein gottgefälliges Leben führen. Ganz gewiss wird er uns eines Tages
dafür belohnen.“ Magdalena hatte dann laut geseufzt und sich heimlich
stundenlang die Fotos angeschaut, auf denen ihre Mutter ein strahlendes junges
Mädchen gewesen war. Sie musste früher sehr glücklich gewesen sein. Und sie
hatte Magdalena sehr ähnlich gesehen. Die gleichen dunklen Locken, die gleichen
strahlenden Augen. Heute aber war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.
„Ich werde mich bei ihr
entschuldigen“, sagte Renke in die nachdenkliche Stille hinein. Magdalena
schreckte aus ihren trüben Gedanken auf und nickte. „Ja, aber nicht du allein.
Wir haben das gemeinsam verbockt. Also gehen wir auch alle gemeinsam zu ihr.“
Renke sah sie daraufhin lange an.
„Wo warst du nur die ganzen Jahre“, sagte er dann leise.
Adrian lächelte. „Das habe ich
mich auch schon gefragt. Aber Hauptsache ist doch, dass sie jetzt zu uns
gestoßen ist.“ Damit nahm er sein Colaglas und prostete seinen Freunden zu.
Nur wenig später zahlten sie ihre
Getränke und beschlossen nach Hause zu gehen. „In ein paar Tagen ist die
Matheklausur“, bemerkte Adrian und zog eine Fratze, „und ihr werdet nicht
glauben, wer von gar nichts eine Ahnung hat. Scheiße, wenn ich die auch wieder
versiebe, wird’s echt knapp. Gut möglich, dass ich dann mein Abi stecken kann.“
Seine Freunde zuckten betreten die
Schultern. „Sorry, aber du weißt, dass wir dir da auch keine Hilfe sein können.
Bin gerade froh, wenn ich meine fünf Punkte halten kann“, sagte Mareike und
Renke
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