Lustig, lustig, tralalalala
Wurde, nachdem fertig gelesen war und ich Kuchen schon fast im Mund hatte, von Lady Di aufgefordert, das Tischgebet zu sprechen. Hatte dann zum Glück super Einfall: «Bei uns ist es üblich, dass der Gastgeber das Gebet spricht.»
Lenas Drogenfahnder-Vater sah kurz aus, als würde er mich foltern wollen, murmelte dann aber müde: «Danke für die Torte», und legte mit dem Essen los. War sehr erleichtert! War noch erleichterter, als Lenas Mutter verkündete, dass sie sich bereits seit Jahren nichts mehr schenken, weil sie erstens bereits alles hätten und deshalb zweitens lieber großzügig für Bedürftige spendeten. Glaubte zwar, dass sie log, war mir aber egal. Entgegnete, dass dies ganz in meinem Sinne sei, und war sehr froh, Cliff-Richard-DVD nicht gekauft zu haben. Statt zu singen, lauschten wir nach dem Kaffeetrinken andächtig und hochkonzentriert den Regensburger Domspatzen. Von
O Tannenbaum
bis zu
Es ist ein Ros entsprungen
hielt ich tapfer durch, dann brach mir das Auge. Erinnere mich erst wieder daran, dass ich zum Abendbrot geweckt wurde. Ein holpriges Tischgebet und einen Karpfen später folgte dann die Papstansprache. Ungekürzte Fassung, dank Satellitenfernsehen! Kann kein Italienischund wurde deshalb, direkt nach verschlafenem zweitem Teil, mit den Worten «Vielen Dank für den netten Tag, das war auch für uns mal etwas ganz Besonderes» verabschiedet. Bin mir heute noch nicht sicher, wie das gemeint war.
Auf dem Nachhauseweg sah ich dann, dass Lena sich auf die Unterlippe biss. Drei rote Ampeln später brach es aus ihr heraus: «Also, versteh mich jetzt nicht falsch, Flo, aber … so, wie du anscheinend Weihnachten feierst … also … diese vielen Bräuche und Gebete – das ist schon ganz schön anstrengend, finde ich.» Machte daraufhin Vollbremsung und versuchte das Gesagte zu begreifen. «Äh … wie genau meinst du denn das?»
«Ach, Süßer, jetzt sei doch nicht gleich sauer. Aber ein derart straffes Programm am Heiligen Abend – ich weiß nicht. Das sollten wir nächstes Jahr anders gestalten. Ich meine Weihnachten – das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit … da darf man doch nicht so durchhetzen.»
Mir fehlten die Worte, und auch Lena war zum Glück zu kraftlos, um Thema weiter auszudiskutieren. Sind zu Hause bei mir nur noch todmüde ins Bett gefallen (ohne Sex vorm nicht vorhandenen Kamin zu haben) und sofort eingeschlafen.
10 Uhr 33. Sitze allein vorm schlüpferblauen Tannenbaum und versuche, nicht daran zu denken, dass Heike mit ihrer Weihnachtsprognose recht hatte. Heute, am 25. Dezember, habe ich aber zumindest eine vage Vorstellung davon, was es bedeutet, mit einer Frau – noch dazu in einer festen Beziehung – Weihnachten zu feiern.
24 höllengleiche Tage, die in etwa so entspannend waren wie ein Nachmittag unter meuchelmordenden Freibeutern, liegen hinter mir, und ich frage mich ernsthaft, wie Lena das Wort
besinnlich
definiert. Es klang ja so, als sei ihre Welt vordem gestrigen Heiligabend noch in bester Ordnung gewesen. Wie kann das sein? Was glaubt sie denn, wie besinnlich ihr Geschenkekaufmarathon auf mich gewirkt hat? Oder unsere zwei Weihnachtsmarktbesuche? Fand sie die etwa besinnlich? Und das Tannenbaumschlagen mit ihren sabbernden Rechtsanwaltskollegen. Ein beschaulicher Nachmittag? Wirklich? Ich meine, was glaubt sie denn, wie es sich anfühlt, wenn man erst k. o. geschlagen und anschließend mit Brandy vergiftet wird? Ganz zu schweigen von der ohrenbetäubenden Nikolausparty und dem Baumschmücken im Kasernenton. Besinnlich? Wohl kaum. Vor allem nicht, wenn man dreimal innerhalb von vier Wochen einem nervösen Leberleiden zum Opfer fällt. Und wie besinnlich kann denn bitte schön Weihnachten in Gegenwart von Til Schweiger
und
Hugh Grant sein? Genauso besinnlich wie ein schlüpferblauer Weihnachtsbaum! Oder eine erzgebirgische, achtzig Mann starke Orchestereinheit!
Wie, um alles in der Welt, kann sie nur all das
besinnlich
finden?
Telefoniere kurz herum und erhalte folgende Antworten.
Jens meint: Zu dem Thema hätte er in seiner Bücherkiste einen Ratgeber. Zum super Sonderangebot von 3,99 € .
Heike meint: Das sei herausgeworfenes Geld. Man könne nämlich nur eines haben, eine Beziehung oder besinnliche Weihnachtstage.
Lege mich zur schlafenden Lena ins Bett und kuschele mich an sie. Ich atme ihren Duft und frage mich: Was sind schon 24 nervenzerschmetternd stressige Tage? So gut wie nichts! Im Grunde genommen bin
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