Lustnächte
ein. „Das Kreuz steht auf dem Kopf. Glauben Sie, dass das absichtlich so ist?“
„Natürlich, Fräuleinchen. Saunière hat kaum etwas ohne triftigen Grund in dieser Kirche gemacht. Ich denke, er wollte der Nachwelt klarmachen, dass bei der Kreuzigung einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.“
Beatrix schaute zu Pierre. Das war das, was Jean-Luc ebenfalls gesagt hatte. Allerdings hatte er dafür andere Hinweise herangezogen.
„Und Sie glauben“, fragte Pierre geradeheraus, „dass der Abbé sein Wissen aus den Unterlagen bezog, die die Marquise seinerzeit Ihrem Beichtvater Bigou übergab?“
„Allerdings. Er muss sie gefunden haben. Weiß der Teufel, wo sie seitdem sind. Dieser verdammte Halunke.“
Monsieur Boirou schien der Meinung zu sein, dass diese Unterlagen zum Erbe der Marie de Nègre d’Hautpoul gehört hatten. Und damit zum Schloss, dessen Besitzer er nun war.
„Die Marquise hätte sie niemals einem Kirchenmann geben dürfen. Wenn die erst einmal etwas haben, geben sie es nicht mehr raus.“ Er war sichtlich verstimmt über diese Ungerechtigkeit.
„Ganz meine Meinung. Dann haben sie sich den Schatz unter den Nagel gerissen und jetzt liegt er im Vatikan“, sagte Pierre.
„Glaube ich nicht. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen, hatte die Marquise schon etwas Wichtiges zu vererben. Aber nicht den Schatz der Templer. Das ist Quatsch.“
„Wieso?“
„Der Orden der Templer ist zwar damals aufgelöst worden, aber es gab genug Rückzugsorte für seine Mitglieder, an denen sie nicht verfolgt wurden. Portugal zum Beispiel. 1319 entstand die Ritterschaft auf portugiesischem Boden neu. Sie mussten ihren Namen ändern, aber ihren Besitz durften sie behalten. Sie nannten sich dort Christusritter und Templer aus ganz Europa haben sich ihnen angeschlossen. 1356 zogen sie in das ehemalige Templerzentrum Tomar. Jede Wette, dass sie alles, was sie je an Gold, Silber und sonstigen Wertsachen zur Seite geschafft hatten, dorthin verfrachtet haben.“ Boirou lehnte sich auf seinem wackligen Stuhl zurück und verschränkte die Arme. „Nein, hier muss es um etwas anderes gegangen sein, das der Beichtvater der Marquise von ihr erfahren hat. Etwas, das ihn gegen die Kirche aufgebracht hat. Vorher ist er nie aktenkundig geworden, müssen sie wissen. Doch nachdem die Marquise ihm ihr Wissen anvertraut hatte, geriet er immer öfter mit seinen Kirchenoberen aneinander. Da fragt man sich automatisch, warum. Ein paar Jahre nach dem Tod der Alten wurde er gar zum aufsässigen Priester erklärt und musste flüchten. Er ist im Exil gestorben. Die Unterlagen soll er vor seiner Flucht hier versteckt haben. Über Umwege kam Boudet, der Abbé von Rennes-les-Bains, dran. Ein dicker Freund von Saunière. Die beiden steckten unter einer Decke.“
Diese Aussage deckte sich mit dem, was sie bereits in Erfahrung gebracht hatten. Als Monsieur Boirou weitersprach, lag er noch immer ganz auf der gleichen Linie.
„Die zwei müssen etwas gefunden haben, das sie zu Geld machen konnten. Und ich bin mir sehr sicher, sie haben es in dem Labyrinth unter meinem Schloss gefunden. Es wäre ein mehr als logisches Versteck.“
„Kann man das Labyrinth betreten?“, fragte Pierre.
„Aber natürlich. Ich suche seit meiner Jugend dort. Sie würden staunen, was ich gefunden habe.“
„Einen Hinweis auf den Schatz?“
„Nein, leider nicht. Aber etwas genauso Interessantes. Wollen Sie es sehen?“
Lieber nicht. Aber bevor sie überhaupt den Mund aufmachen konnte, antwortete Pierre schon.
„Nichts lieber als das. Meine Frau klettert mit Begeisterung in unterirdischen Stollen herum. Nichts macht ihr mehr Freude. Deshalb sind wir hauptsächlich hier.“
Beatrix warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Seine Lügenwaren nicht nur schamlos, sie wurden ihr auch langsam zu gefährlich. Er sollte sich nur nicht darauf verlassen, dass er jedes Mal ungestraft davonkam. Glück für ihn, dass sie sich nicht vor diesem alten Mann bloßstellen wollte.
„Na, dann kommen Sie mal mit. Was ich Ihnen zeige, hat kaum einer außer mir gesehen. Die verdammten Schatzsucher würden mir die Bude einrennen, wenn sie davon wüssten. Aber für Jungverheiratete habe ich immer ein Herz.“
Boirou führte sie quer durch das Schloss. Am Ende eines Korridors, zwischen zwei Bögen, nahmen sie eine ausgetretene Steintreppe, die in die ehemaligen Verliese der Festung führte. Beatrix fröstelte. Ihr Weg führte an drei schmutzstarrenden, vergitterten Kammern
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