Lustnebel
ihren Schritten. Als sie auf einen kleinen, unscheinbaren Pilz trat, verströmten die plattgetretenen Überreste einen faulig-modrigen Geruch. Rowena hielt sich die Hand vor die Nase und folgte unbeirrt der Katze, die unter einen Busch kroch, um auf der anderen Seite wieder hervorzukommen.
„Dummes Ding“, schalt Rowena zärtlich. „Warte auf mich, ich muss außen herumlaufen.“
Als sie das Gebüsch umrundet hatte, saß die Katze da und putzte sich unbeirrt.
„Lex!“
Rowena wandte den Kopf. Diese Stimme hätte sie unter hunderten erkannt. Doch statt Chayton zu erblicken, sah sie Lex über die Lichtung laufen. Er kam aus einem dunklen, unwirtlichen Teil des Waldes und steuerte auf eine Stelle in den Bäumen zu, an denen das Grün der Blätter einen goldenen Schimmer besaß. Durch die Wipfel bahnten sich Sonnenstrahlen ihren Weg und malten Kreise und Streifen auf Baumstämme und Boden. Der taubenetzte Farn und das ebenso gepunktete Moos glitzerten wie mit Diamanten gesprenkelt.
Über allem lag ein Hauch des Unwirklichen.
Aus dem wenig heimeligen Waldgebiet kam Chayton gelaufen. Tiefer Schmerz zeichnete seine Züge, und Rowenas Herz zog sich zusammen. Sie wollte sich bewegen, wollte zu ihm gehen, doch ihr ganzer Körper war wie erstarrt. Eingehüllt wie in eine warme Decke, die sich um sie gezogen hatte, sodass sie verdammt war, eine bewegungslose Beobachterin zu sein. Stumm beobachtete sie die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte.
„Lex, bleib! Lass mich nicht allein“, bat Chayton und klang so verzweifelt, dass es Rowena Tränen in die Augen trieb.
Lex verlangsamte seine Schritte, doch weder machte er Halt noch wandte er sich um. Es war Chayton, der zu ihm kam, ihn an der Schulter packte und festhielt.
„Ich will dich nicht verlieren!“, flehte Chayton.
Lex drehte sich um. Sehr langsam. Es schien ihn Mühe zu kosten, seine Aufmerksamkeit vom golden-grünen Wald loszureißen. Die Verklärung, die die Aussicht, dorthin zu gehen, in ihm auslöste, war deutlich an seiner Miene zu erkennen. Dennoch mischte sich Trauer in seinen Blick. „Ich muss, Chay.“
„Dann lass mich mit dir gehen“, bat Chayton.
Lex nahm Chaytons Gesicht in seine Hände. „Du wirst bleiben. Du wirst ohne mich leben.“
„Wie? Sag mir wie, Lex?“ Tränen glitzerten in seinen Augen. Eine kullerte über Chaytons Wange, und Lex beugte sich vor und küsste sie fort.
„Weil du bist, wer du bist“, erklärte Lex. „Du wirst dich umdrehen und dein Leben weiterleben. Ohne mich.“
„Du bist mein Leben!“, widersprach Chayton heftig. Er legte seine Hände über die von Lex.
„Ich war dein Leben“, verbesserte Lex ihn. „Und ich danke dir dafür, dass ich Teil deines Lebens sein durfte. Ein Stück von mir wird bei dir bleiben.“ Er beugte sich vor und küsste Chayton inbrünstig. Die Zärtlichkeit, mit der Lex ihn liebkoste, trieb Rowena erneut die Tränen in die Augen. Ehe Lex seine Lippen von ihm löste, streichelte er mit ihnen über Chaytons.
„Ich bin nicht länger Teil deines Schicksals, Chay. Lass mich los. Erinnere dich, wenn du willst, vermisse mich, wenn du musst, aber lass mich gehen!“
Lex trat einen Schritt zurück. Sein liebevoller Blick glitt über Chayton. Lex’ Finger berührten seine Lippen. Er wich nach hinten, und Chayton streckte seine Hand aus, ohne Lex anzufassen. Dieser entfernte sich weiter.
„Leb wohl, geliebter Chay“, sagte Lex, warf ihm einen letzten Blick zu und drehte sich dann um.
„Lex!“, schrie Chayton, und in seiner Stimme klang all die Qual, die seine Seele erfüllte. Er kippte vornüber auf die Knie. „Lex!“
Voller Mitgefühl schloss Rowena einen Moment lang ihre Augen. Sie hörte Chayton nach Luft ringen, jene Geräusche, die ein Mensch von sich gab, wenn er kurz davorstand, in Tränen auszubrechen.
Rowena schlug die Lider auf und starrte in Lex´ Gesicht.
„Der Falke darf nicht zu hoch fliegen“, sagte er. Er fixierte sie. „Sorge dafür, dass der Falke zur Erde zurückfindet.“
Ein lautes Knallen schreckte Rowena auf.
Sie kam zu sich und fand sich in ihre Decken verheddert. Ihr Nachtzopf hatte sich gelöst, und so hingen ihre mahagonibraunen Strähnen ungezähmt in ihr Gesicht. Sie befreite sich aus ihren Fesseln und strich sich das Haar zurück, während sie überlegte, was sie geweckt haben mochte.
Im Nebenraum schepperte etwas, und ein Klirren sowie ein Fluchen erklangen. Einen weiteren Moment lang war es ruhig, dann plumpste etwas Schweres zu
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