Lustnebel
Cuthbert führten ein ausschweifendes Liebesleben. Vielleicht nahmen sie tatsächlich an den Hellfire-Club -Orgien teil. Falls dem so war: Was wussten sie über Silbermaske, Claire und deren Tod? Rowena hatte nicht vergessen, dass Turnbull kurz vor ihrer Ankunft bei den Cuthberts selbige verlassen hatte. War er tatsächlich Silbermaske? Rowena glaubte es sicher, doch beschwören mochte sie es nicht.
Die Tür fiel ins Schloss, und das Krachen schreckte Rowena auf.
„Helen?“ Rowena setzte sich auf. „Helen? Bist du das?“ Stille. Nicht einmal durch die Fenster drang ein Laut. Rowena räusperte sich, und dieses Geräusch hätte nicht lauter klingen können, wenn es ein Pistolenknall gewesen wäre.
Das Schweigen füllte den Raum wie ein schweres Parfüm. Rowena runzelte die Stirn und griff nach dem Badetuch. Obwohl absolute Lautlosigkeit herrschte, erahnte sie die Anwesenheit einer Person. Rowenas Herzschlag beschleunigte sich. Ein leichtes Zittern ihrer Hand verriet die Furcht, die im Takt ihres Pulses durch ihren Körper jagte. Vorsichtig erhob sie sich und kletterte aus der Wanne, die Pfütze zu ihren Füßen ignorierend. Sie nahm sich keine Zeit, sich abzutrocknen, sondern wickelte sich in das Tuch ein und tapste dann hinter die Tür.
Jemand durchquerte ihr Schlafgemach. Eindeutig ein Mann, den Bewegungen nach. In Rowenas Kehle stieg ein furchtsames Wimmern empor. Sie presste ihre Hand vor den Mund und biss sich auf die Lippen, um nur ja keinen Laut von sich zu geben.
Die Schritte wanderten gemächlich durch das Zimmer. Gerade so, als hätte der Betreffende nichts zu befürchten. Rowenas Angst steigerte sich. Wo war ihre Zofe? Sie blinzelte, und die Panik fraß sich wie ein kleines Monster mit kalten Metallzähnen in ihre Wirbelsäule, über den Nacken zu ihrem Hinterkopf empor. Dort zentrierte sich die Empfindung als eisiger Schmerz. Sie wagte kaum zu atmen. Wo war ihre Zofe? Hatte der Unbekannte ihr etwas angetan?
Rowena lehnte Halt suchend an der Wand und fühlte, wie ihre Knie nachzugeben drohten. Ein Druck wie von einem schweren Sack schien auf ihrem Brustkorb zu liegen. Hatte Silbermaske sie am Ende gefunden? Würde sie nun sterben, so wie Claire? Oder das Dienstmädchen? Sie musste in dieser Situation an den weisen Spruch denken, wenn kein Ritter in goldener Rüstung erscheine, müsse man sein eigener Ritter sein.
Der mysteriöse Eindringling stand vor der Tür. Rowena konnte seinen Atem durch das dünne Holz der Tür hören. Sie hielt die Luft an. Die Furcht überrollte sie mit einer Wucht, die sie schier niederwarf. In ihren Ohren begann es zu rauschen. Was immer als nächstes geschah, sie würde reagieren müssen. Sie spürte das Blut in ihrem Körper pulsieren, spürte, wie sich ihre Muskeln strafften. Sie holte Luft.
„Rowena? Bist du da drin?“ Chaytons Stimme erklang von der anderen Seite der Tür. Taumelnd sackte Rowena gegen die Wand. Ihr war schwindlig vor Erleichterung. „Rowena?“
Rowena warf ihr Haar zurück und entspannte sich. „Moment.“ Sie hoffte, Chayton fiele das Zittern in ihrer Stimme nicht auf. Sie zog sich den Morgenmantel über, zupfte an den Rüschen, die das Revers bildeten, und trat aus der Tür, nachdem sie noch einmal tief ein- und ausgeatmet hatte.
Chayton stand entspannt im Raum. Sein Haar baumelte als langer Zopf über der Schulter, und er trug über Hemd und Hose einen Hausmantel.
„Ist etwas vorgefallen? Willst du etwas Bestimmtes?“
Chayton sah sie verwirrt an. „Ich möchte meine Frau aufsuchen. Benötige ich dafür besondere Gründe?“
„Du willst Sex?“ Rowena verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie vermied, in Chaytons Augen zu blicken, und starrte auf seine Lippen. Als ihr in den Sinn kam, wie es sich anfühlte, wenn sein Mund sich auf ihren presste, änderte sie ihre Strategie. Die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen fiel ihr das erste Mal auf. „Es tut mir leid, dass du dich umsonst hierher bemüht hast.“
Sie beging den Fehler und sah in Chaytons Augen. Nervosität pochte hinter ihrer Stirn, als sie seine Fassungslosigkeit erkannte.
„Wie kommst du auf den Gedanken, dass ich nur wegen der Aussicht auf ein ausgedehntes Liebesspiel gekommen wäre?“, fragte Chayton provozierend langsam. Offensichtlich dachte er angestrengt nach, um Rowenas Gedankengänge zu durchschauen.
Grimmig trat sie einen Schritt zurück. Herausfordernd begutachtete sie seine Kleidung und hoffte, dass er ahnen würde, was sie dachte. Dass eine derartige
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