Lustvolles Erwachen
mit einem kurzen Winken an ihnen vorbeirannte. »Ihre Lully ist die Anführerin der Truppe. Der Bengel in ihrem Schlepptau ist unser Sohn Jamie. Ich habe keine Ahnung, wer die restlichen Rangen sind. Georgie schart immer Kinder um sich wie Diccans Mutter Hunde.«
Grace war erstaunt beim Anblick der lärmenden, lachenden Kinder. Es schien, als hätten ihre Hoffnungen direkt vor ihr Gestalt angenommen. Glückliche, gesunde Kinder, die auf dem Rasen herumtollten wie junge Hunde. Ihr Lachen war so klar und strahlend wie der Morgen. Das ungewohnte Gefühl von Freude schnürte ihr die Kehle zu.
Es dauerte allerdings nur einen Moment, um auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Sie wollten gerade die Stufen erklimmen, als Jack stehen blieb und sich umsah. »Wo ist Diccan?«, fragte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Kutsche Gadzooks hinter sich lassen könnte.«
Grace’ empfindlicher Magen zog sich zusammen. »Er … wird versuchen, noch zu kommen.«
Jack sah sie an. »Diccan soll das größte gesellschaftliche Ereignis in diesem Herbst versäumen? Unsinn. Ich bin überzeugt, dass er sich für dieses Wochenende allein drei Westen hat anfertigen lassen.«
Grace wusste, dass ihr Lächeln schwach wirkte. »Und er hat ein goldenes Monokel besorgt. Doch er ist aufgehalten worden.«
Von seiner Geliebten. Oder von den Löwen. Oder von einer Vorladung vor Gericht, wo wegen Hochverrats gegen ihn verhandelt werden würde.
Vielleicht trafen auch alle drei Möglichkeiten zu.
Es dauerte nicht lange, bis Grace sich in ihrem hübschen Zimmer eingerichtet hatte. In frischem Grün und in Gelbtönen gehalten, befand sich das Eckzimmer im Südosten des Hauses. Große Fenster boten zu beiden Seiten einen wundervollen Blick über die weiten Rasenflächen und den Wald. Grace half Lizzy beim Auspacken. Danach schickte sie die junge Frau los, damit sie nach ihrem eigenen Kind sah, das mitgekommen war und den daheimgebliebenen Mr. Pitt zu vermissen schien.
Sobald ihre Übelkeit sich ein bisschen gelegt hätte, wollte Grace Olivia aufsuchen. Sie wusste, dass es die beste Gelegenheit wäre, um ungestört über ihr eigenes Befinden reden zu können. Immerhin hatte Olivia schon ein Kind. Sicherlich hatte sie Ähnliches durchgemacht. Würde sie mit Grace über ihre Erfahrungen sprechen?
Grace fühlte sich jedoch unerklärlich scheu. Nie hätte sie damit gerechnet, diese Unterhaltung jemals führen zu müssen, und sie war sich nicht sicher, wie sie die Neuigkeiten erzählen sollte. Zumindest diese Sorge wurde ihr abgenommen, als Olivia genau in dem Moment ins Zimmer kam, als Grace sich im Ankleidezimmer über das Nachtgeschirr beugte.
»Grace?«, fragte sie hinter der Tür zum Schlafzimmer. »Bist du das?«
Grace konnte gerade nicht antworten, und plötzlich kniete Olivia mit einem feuchten Handtuch neben ihr in dem überfüllten kleinen Raum.
»Du lieber Himmel«, sagte Olivia. »Was ist los?«
Eine dumme Frage, dachte Grace. Sie hockte, auf die Hände gestützt, vor einem Nachttopf. »Ich glaube … ich glaube …«
Sie konnte die Worte einfach nicht laut aussprechen. Es war fast so, als hätten sie allein die Macht, die zarte Seifenblase ihrer Hoffnung zum Platzen zu bringen. Es war etwas, das zu groß und zu vergänglich zugleich war, so zerbrechlich und wundersam und geheimnisvoll wie das Baby selbst.
Erstaunlicherweise verstand ihre Freundin sofort. Olivia tupfte ihr die Stirn ab und lachte leise. »Oh, ich erinnere mich genau daran. Ich dachte, ich würde irgendwann meine Leber in einem Eimer wiederfinden, so übel war mir. Doch es ging vorbei. Es geht immer vorbei.«
»Das hoffe ich«, stieß Grace hervor. Sie hielt die Augen geschlossen und befahl ihrem Magen, sich endlich zusammenzureißen. »Ich fühle mich wie ein gigantischer Krampf. Sogar meine Finger tun mir weh.«
Olivia lächelte noch immer. »Du hast einfach zu viele Nachttöpfe umklammert, meine Liebe. Sicherlich hast du es schon mit Ingwer probiert, nicht wahr?«
Sie nickte. »Ich glaube, ich habe sämtliche Ingwervorräte von London aufgekauft. Mir tun die Hausfrauen leid, die in dieser Woche Lust auf Gewürzkuchen haben.«
Lachend reichte Olivia ihr das Handtuch und wechselte den Topf gegen neues Nachtgeschirr aus. »Dann müssen wir uns etwas anderes überlegen. Warst du schon bei einem Arzt?«
Grace schüttelte den Kopf, dankbar für Olivias gesunden Menschenverstand.
»Das geht nicht«, sagte Olivia. »Wir werden meinen Arzt rufen, einen
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