Lustvolles Erwachen
über den Fachwerkhäusern, dessen Farbe sie an ein Paar ganz bestimmter Augen erinnerte. »Sein Vater war Gutsherr. Er und mein Vater spielten gern Schach miteinander.«
Diccan lachte und schüttelte den Kopf. »Ein beklagenswerter Mangel an Standesbewusstsein für einen Duke. Kein Wunder, dass mein Vater der Meinung ist, er selbst hätte eigentlich der Erbe sein sollen. Er lässt dich übrigens grüßen.«
Erstaunt wandte Kate sich ihm zu. »Dein Vater? Er ist hier?«
»O ja. Und er kocht vor selbstgerechter Empörung. Er freut sich unsagbar über die Bestätigung, dass es richtig ist, nicht viel von mir zu halten.«
»Er ist dumm. Und er hat mich noch nie grüßen lassen. Er hasst mich noch mehr, als er dich hasst.«
Diccan hob ihre Hand und küsste sie. »Wir sind wohl zwei Verdammte, nicht wahr?«
Kate nahm sich Zeit, um Diccans finstere Miene zu betrachten, und spürte, wie Wut in ihr hochstieg, als sie über die Situation nachdachte. »Es ist so ungerecht«, sagte sie. »Für euch beide.«
»Ach, meine Liebe, du weißt, dass es keinen Sinn hat, darüber nachzugrübeln«, sagte er und ging weiter.
»Ja, das weiß ich«, entgegnete sie. »Cousin Charles hat zugestimmt, euch zu vermählen?«
»Er wird den Gottesdienst zu unserer Hochzeit selbst abhalten. Heute Nachmittag um vier.«
Sie nickte. »Ich werde ein kleines Hochzeitsmahl organisieren.« Sie zögerte. Ihr Blick ging zu den Fachwerkhäusern, an denen sie vorbeikamen. »Diccan. Wegen Grace …«
Diccan sah sie an. »Sie ist nicht auf und davon, oder?«
»Natürlich nicht. Wenn es etwas gibt, das Grace im Laufe der Jahre eingetrichtert wurde, dann, dass sie ihre Pflicht zu erfüllen hat. Sie würde ganz sicher keinen Rückzieher machen. Was mich dazu bringt, eine Drohung auszusprechen.«
Diccans Lächeln war unerträglich charmant. »Ich fürchte, dafür musst du dich hinten anstellen, altes Mädchen.«
Sie blieb stehen und zwang ihren viel größeren Cousin dazu, ebenfalls am Ufer des River Stour anzuhalten. »Grace vermittelt allen Menschen um sie herum den Eindruck, dass sie aus Eisen gemacht wäre«, sagte Kate. »Sie ist die Erste, die da ist, wenn jemand Hilfe braucht. Sie ist diejenige, an die jeder sich wendet. Aber ich habe das Gefühl, dass Grace viel zerbrechlicher ist, als wir alle ahnen. Ihr blieb nicht einmal genug Zeit, um ihren Vater zu trauern. Ich kenne dich besser als jeder andere, Cousin. Und ich weiß, dass du – auch wenn du widersprechen wirst – genauso ehrenhaft bist wie sie.« Sie sah zu ihm hoch. Er war der Mensch, der ihr auf dieser Welt am meisten bedeutete. Und dann tat sie etwas Unvorstellbares. Sie flehte: »Versprich mir, dass du ihr nicht wehtun wirst.«
Bedächtig zog Diccan eine Augenbraue hoch. »Aus deinem Mund klingt es, als wäre ich ein Wilder.«
Kate schnaubte. »Alle Männer sind Wilde, Diccan. Du bist nur eleganter als die meisten anderen. Versprich es mir.«
Einen Moment lang glaubte sie, er würde nicht antworten.
Er blickte zu den Schwänen, die sich auf dem schmalen Fluss treiben ließen, der sich durch die Stadt schlängelte. »Das kann ich nicht.«
Kate hätte ihn beschimpft, wenn sie nicht in dem Moment seine Augen gesehen hätte. Unergründlich, eisgrau, mit einem blauen Rand, für gewöhnlich so undurchsichtig wie Spiegel. Plötzlich konnte sie hier, auf einer Straße in Canterbury, Unsicherheit, Entsetzen, Schmerz darin lesen. Sie erkannte, dass ihr Cousin, der in der feinen Gesellschaft nur als »die Perfektion« bekannt war, auch verletzlich war.
»Kannst du mir wenigstens versichern, dass du es versuchen wirst?«, bat sie sanft.
Er seufzte und zuckte mit den Schultern, als wäre das Gewicht seines Versprechens fast zu schwer. »Ja, Katie, ich verspreche, dass ich es versuchen werde.«
Kate stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. »Dann bin ich zufrieden. Vergiss nur nicht: Ich bin immer für dich da.«
Mit einem weiteren Kuss auf ihre Hand drehte er mit seiner Cousine um und ging wieder Richtung Wirtshaus. »Tja, damit bist du die nächsten fünfzig Jahre über ausgelastet.«
Grace wurde mit vollen militärischen Ehren in der Kathedrale von Canterbury getraut. Und nicht an einem Nebenaltar, wo sie sich zumindest ein wenig unbeobachteter gefühlt hätte. Nein. Der ehrwürdige Charles Manners-Sutton, Erzbischof von Canterbury, bestand darauf, dass sein Cousin Diccan am Hauptaltar vermählt wurde – als würde ihm das den Ernst dieses Moments
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