Lustvolles Erwachen
deine Ansichten über diese Ehe vor ihnen äußerst, denk daran, dass sie bewaffnet sind. Und dass Grace jedem von ihnen im Laufe der vergangenen zehn Jahre mindestens ein Mal das Leben gerettet hat.«
Cousin Charles klingelte nach seinem Sekretär. »In dem Fall«, sagte er und klang mit einem Mal ganz wie der Erzbischof von Canterbury, »glaube ich, dass wir eine Hochzeit arrangieren werden.«
Lady Kate stand am Fenster von Grace’ Schlafzimmer, als sie Diccan mit seinem Gefolge zurückkehren sah. »Wenn ich dich einen Moment allein lasse, wirst du dich nicht aus dem Fenster stürzen, oder?«
Grace, die am Kamin saß, lächelte. »Ich würde mir bei dem Versuch nur die Beine brechen. Das wäre kein Spaß.«
»Braves Mädchen.«
Kate hob ihr Kleid an und stieg die Treppe herunter. Sie musste mit Diccan sprechen. Er musste sie davon überzeugen, dass alles gut werden würde. Kates Meinung nach hatte Grace schon viel zu viel durchgemacht. Ihr Vater war erst vor zwei Monaten umgekommen. Ihre berühmten verwandtschaftlichen Bindungen waren nicht besonders eng, und sie hatte keine Familie mehr. Für Kate war klar, dass sie diese Aufgabe übernehmen musste.
Sie war so konzentriert darauf, Diccan zu treffen, dass sie tatsächlich vergaß, wer ihn begleitete. Sie hatte gerade die Eingangshalle erreicht und wollte zur Tür hinausgehen, als sie Schritte hinter sich hörte.
»Also bist du noch immer da«, hörte sie eine Stimme sagen.
Augenblicklich richteten sich die Härchen in ihrem Nacken auf. Warum hatte sie nicht geahnt, dass das hier geschehen würde?
»Wenn du etwas sagen möchtest, Harry«, erwiderte sie und drehte sich zu dem großen, rötlich-blonden Grenadier um, der sie finster anfunkelte, »sag es. Ansonsten würde ich gern so tun, als wären wir uns nie begegnet.«
»Das wäre mir auch lieber«, erklärte er. Seine himmelblauen Augen blickten sie kalt an. »Doch es scheint mir, als müssten wir zumindest den heutigen Tag zusammen verbringen. Grace hat nur eine Möglichkeit, unversehrt aus der Geschichte herauszukommen. Und ich bin hier, um sicherzustellen, dass du diese Chance nicht ruinierst. Das arme Mädchen hat schon zu viel durchgemacht.«
Tja, wenn er vorgehabt hatte, Kate zu erzürnen, dann war ihm das zweifelsohne gelungen. Sie richtete sich zu ihren vollen ein Metern fünfundfünfzig auf und warf ihrem Freund aus Kindertagen ihren eisigsten Blick zu. »Ach ja?«, erwiderte sie. »Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht. Anscheinend hat sie in den drei Monaten, die sie bei mir gewohnt hat, vergessen, es mir gegenüber zu erwähnen. Vor allem an dem Tag, als wir die vierzig Meilen nach Waterloo gefahren sind, um ihren Vater zu beerdigen.« Sie legte ihren Kopf schräg und wirkte wie der Inbegriff der Verwunderung, als sie ihn nun fragend musterte. »Allerdings habe ich dich dort nicht gesehen. Genau genommen habe ich dich in der ganzen Zeit, die wir in Brüssel verbracht haben, nicht gesehen. Und ich habe dich auch anschließend in London nicht gesehen. Du kannst dir also vorstellen, wie verwundert ich bin, dass du so genau zu wissen scheinst, was die Gute durchgemacht hat.«
Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Sein wundervoll lebhaftes hübsches Gesicht wurde rot, und seine wilden blauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Oh, wie sie diese Augen einst geliebt hatte. Vor sehr langer Zeit.
Schließlich verneigte er sich formvollendet. »Natürlich hat Eure Durchlaucht in allem recht.«
»Wie schön, dass du das einsiehst.«
Er sagte kein Wort mehr, drehte sich um und ging davon. Seine Stiefel klackten auf dem Holzfußboden. Kate war atemlos und zitterte. Zur Hölle mit ihm. Verflucht noch mal. Wie konnte er sie so reizen, dass sie ihre guten Manieren vergaß? Wie schaffte er es nur immer, dass sie sich schlecht und wertlos fühlte?
Zum Glück war es Diccan, der sie zuerst erblickte, denn sie wusste, dass man ihr die Anspannung ansehen konnte. Er sagte nichts, hakte sie nur unter und führte sie durch die Eingangstür hinaus.
»Du überraschst mich immer wieder, Kate«, sagte er und geleitete sie die schmale Kopfsteinpflasterstraße entlang. »Ich kann mich nicht daran erinnern, Harry Lidge je so aufgewühlt erlebt zu haben. Und ich habe ihn schon in allen Lebenslagen gesehen – auf Huren und Kavalleriepferden.«
»Halt den Mund, Diccan.«
Sein Lächeln war unerschrocken. »Ist er nicht in der Nähe des Schlosses aufgewachsen?«
Sie seufzte und blickte in den Morgenhimmel
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