Lustvolles Erwachen
bewusster machen.
Und als ob die ganze Situation für Grace nicht schon unangenehm genug gewesen wäre, gesellte sich am Altar auch noch Diccans Vater zu ihnen. Groß, dünn und allmählich kahl werdend, wirkte er in seinem kirchlichen Gewand, als würde er darin versinken – wäre da nicht die eisige Verachtung in seinem Blick gewesen. Er hatte dieselben hellgrauen Augen, die auch sein Sohn hatte, doch der Ausdruck in ihnen war ohne Zweifel noch feindseliger. Er stand direkt hinter dem Erzbischof und funkelte die beiden an, ohne zu blinzeln.
Diccan schien das Ganze sehr amüsant zu finden, denn ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Grace fand das alles nur erdrückend. In der Kirche war es eiskalt, und der Steinboden unter ihren dünnen Schuhen war unangenehm hart. Wolken waren aufgezogen und verschluckten das wunderbare Licht vor den Fenstern des Hochaltars. Kerzen flackerten, aber die Steinwände erhoben sich düster und kühl. Die Stimme des Erzbischofs stieg wie Weihrauch bis in die schattigen Winkel empor.
Selbst die anwesenden Gäste schienen sich zu verschwören, um Grace zu verunsichern. Diccan trug das übliche makellose Schwarz und Weiß mit einer mit Silberfäden durchwirkten, elfenbeinfarbenen Weste. Perfekt bis ins Letzte, hatte er seine Krawatte zu einem trone d’amour gebunden und mit einem unanständig großen Rubinanstecker gesichert, der zu dem Rubin passte, der an seinem Ring funkelte.
Die beiden Bischöfe trugen Perücke und Mitra sowie schimmernde Roben. Kate hatte ihr bestes blaues Kleid aus seidig glänzendem Stoff angezogen und dazu eine passende Haube aufgesetzt. Ein Trupp von Grace’ Grenadieren hatte sich im Chor der Kirche versammelt. Ihre Uniformen bildeten einen bunten Strauß von Farben. Bei jeder Bewegung erklang ein Klappern der Schwerter und Sporen, das so laut war, dass es die Stimme des Erzbischofs beinahe übertönte.
Und Grace? Nachdem sie nur sechs Stunden gehabt hatte, um sich vorzubereiten, und keinen Modisten, der zufällig mit maßgeschneiderten Kleidern für eine Amazone bereitgestanden hätte, stand Grace in ihrem grauen Reisekleid und ihrer Haube vor dem Altar. Sie kam sich vor wie eine Motte unter Schmetterlingen.
Und sie sind wirklich alle in ihren Uniformen gekommen, sodass man sie leicht zuordnen kann, dachte Grace. Ihre Soldaten, ihr amateurhafter Ehemann, ihr berüchtigter Freund. Der würdevolle Bischof und die ungewollte Braut.
»Sprich mir nach«, verkündete der Bischof. »Ich, Richard William Price Manners Hilliard …«
Grace war sich sicher, dass sie eigentlich aufmerksam hätte zuhören sollen. Doch sie schien sich auf nichts anderes konzentrieren zu können als auf Diccans Belustigung, als er die Worte wiederholte, die sie aneinanderbinden würden. Es wirkte fast so, als wäre das alles für ihn nicht mehr als ein Gesellschaftsspiel. Sie konnte ihren Blick nicht von seinen unheimlichen blassgrauen Augen abwenden. Und sie fühlte nur seine warme, starke Hand, mit der er sie festhielt. Sie konnte nur daran denken, dass sie hier vor einem der höchsten, heiligsten Altäre Großbritanniens einen Pakt mit dem Teufel schloss. Indem sie den Schwur leistete, verpflichtete sie sich zu einem Leben voller Trauer, Einsamkeit und Kummer.
Zumindest ein Gutes hatte das alles, schoss ihr durch den Kopf. Bald würde Diccan seine eleganten Hände wieder auf sie legen. Bald würde sie vom Meister selbst in die Geheimnisse der Liebeskunst eingeweiht werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie kein Zaungast sein und nur zusehen. Sie wäre kein verkrüppeltes Mädchen, das bloß beobachtete. Sie würde die unglaublichen Empfindungen erleben, die am Morgen nur angedeutet worden waren.
Diccan würde sie nehmen, und ihr Leben würde sich verändern. Mit einem Mal konnte sie an nichts anderes mehr denken.
»Miss Fairchild«, sagte der Erzbischof geduldig.
Grace wurde aus ihren Tagträumen gerissen und versuchte, die Schauer zu verbergen, die sie durchzuckten. Sie blickte auf und konnte dem Erzbischof ansehen, dass er sich wiederholte.
»Ich, Grace Georgianna Fairchild«, sagte sie, und ihre Stimme löste sich zu einer kleinen weißen Wolke kalter Luft auf, während Diccan ihre Hand überraschend sanft in seiner hielt, »nehme dich, Richard William Price Manners Hilliard …«
Das Nächste, an was sie sich erinnerte, war, dass der Erzbischof ihren Ring segnete. Sie hatte keine Ahnung, wie Diccan ihn so schnell aufgetrieben hatte – es war ein
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