Lustvolles Erwachen
uns helfen!«
Sekunden später war Diccan die Treppe hinuntergerannt.
»Schusswunde?«, wollte er wissen. Die hochgezogenen Augenbrauen der anderen Gäste, die es ungewöhnlich fanden, wie der eleganteste Mann Englands seine Stimme erhob, als wäre er ein Feldwebel, bemerkte er nicht. »Was, zur Hölle, ist hier los?«
Sein Blick fiel auf Grace, auf deren bleichem Gesicht ein Ausdruck angespannter Langmut stand, während sie sich auf die Schulter eines der Kutscher stützte, die er angeheuert hatte. Nass und schmutzig, von Kopf bis Fuß mit Schlamm beschmiert, sah sie aus, als hätte sie auf der Jagd einen Kopfsprung gemacht. Hinter ihr stand wie ein nervöser Gefolgsmann Biddle, der nur unwesentlich besser aussah.
»Ich habe versucht, es ihnen zu erklären, Diccan«, sagte Grace, und ihre Stimme klang gefährlich dünn. »Ich habe keine Verletzung davongetragen. Ich humpele, weil ich bei meinem Sturz auf meinem schlimmen Bein gelandet bin. Die Schussverletzung ist nicht der Rede wert.«
»Nicht der Rede wert?«, wiederholte Biddle aufgebracht. »Madame, Sie sind mitten auf der Straße in Ohnmacht gefallen!«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt«, erwiderte Grace, als wäre es ein altes Lied. »Beim Anblick von Blut werde ich ohnmächtig.«
Diccan hatte kaum seine legendäre Beherrschung wiedererlangt und hob ironisch eine Augenbraue. »In Ohnmacht gefallen? Eine Frau, die die gesamte Iberische Halbinsel medizinisch versorgt hat?«
Sie hob den Blick, und er sah die Anspannung in ihren Augen. »Beim Anblick von meinem Blut«, erklärte sie. »Eine traurige Schwäche, aber so ist es. Ich kann bis zu den Knien in geronnenem Blut stehen, doch sobald ich ein Tröpfchen von meinem eigenen Blut sehe, kippe ich um.«
Also hatte seine Boudicca eine Schwäche. Der plötzliche Drang zu grinsen überraschte Diccan. Ein Blick auf ihre Miene hielt ihn jedoch davon ab. Das, und die Leute, die um sie herum zusammengeströmt waren, um alle entsetzlichen Einzelheiten zu hören. Er hatte in den vergangenen zwei Tagen genug sensationslüsterne Menschen erlebt.
Instinktiv wusste er, dass seine Ruhe ihr helfen würde, ihre Haltung zu bewahren. Und so ging er zu ihr, um sie vom Kutscher zu übernehmen. »Eine traurige Schwäche, meine Liebe. Zum Glück ist Biddle da ein bisschen tapferer. Er fällt erst in Ohnmacht, wenn er Grasflecken auf meiner Hose entdeckt.«
Da. Er hatte es geschafft, sie zum Lächeln zu bringen. Alle anderen wirkten wie panische Tiere. Er verstand. Er hatte selbst einen Schock verspürt, als er den dicken weißen Verband um Grace’ Oberarm gesehen hatte.
»Sie kümmern sich selbstverständlich um einen Arzt«, wandte er sich anscheinend gelangweilt an einen Hoteldiener, der untätig herumstand. »Meine Frau braucht außerdem ein Bad und ein Dienstmädchen, da ihre Zofe die Reise nicht mitmachen konnte. Das erklärt ohne Zweifel, warum sie aussieht wie ein Schmutzfink.« Er gab dem seltsamen Drang nach, ihr eine lose Strähne von der schmutzigen Wange zu streichen. »Und du, meine Liebe«, sagte er und führte sie Richtung Treppe, »wirst mir jetzt die Schussverletzung erklären.«
Sie nickte und atmete bedächtig, als müsste sie den Schmerz bekämpfen.
»Wegelagerer«, keuchte Biddle. Seine Hände flatterten wie Vogelflügel, als er ihnen zur Treppe folgte.
»Es war ein Glückstreffer«, sagte Grace und klang entrüstet, während sie neben Diccan herhumpelte. »Ich hatte mir gerade die Donnerbüchse genommen …«
Diccan blieb stehen. »Donnerbüchse? Du wolltest eine Waffe führen?«
Hinter ihm lachte der Kutscher auf. »Eine Waffe führen, ja? Sie hat die Waffe nicht nur geführt. Sie hat einem Kerl die Lichter ausgeblasen und dem anderen genug Angst eingejagt, dass er sich in die Hose gepisst hat.«
»Sie hat uns das Leben gerettet«, erklärte Biddle, und Diccan stellte erstaunt fest, dass in den Augen des Dieners ein demütiger Ausdruck schimmerte. Grundgütiger, was war nur aus der Welt geworden?
»Wir besprechen das oben, Grace«, sagte er grimmig. »Wenn du die Stufen hochsteigen kannst.«
Sie schnaubte ungeduldig. »Mein Bein tut weh, mein Lieber. Es ist nicht abgefallen.«
»Und dein Arm?«
Sie warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Der tut auch weh.« Dann drehte sie sich um und lächelte dem Kutscher zu, der tropfnass, den Hut in der Hand, mitten in der eleganten Lobby des Pulteney Hotel stand. »Mr. Wilson, ich danke Ihnen. Ich weiß, dass mein Ehemann Ihnen Ihre Hilfe sehr gern
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