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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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in der Nähe des Parks, er will ein paar Kaninchen
mitnehmen. Also rutscht Henry hinüber ans Steuer.
    Bald jagt er die Scheinwerfer durch das elektrische Tor am Ende der
langen Kieszufahrt.
    Das Haus ist sehr groß. Es steht direkt am Park. Sein Wert liegt bei
etwa zweieinhalb Millionen Pfund, aber Henry hat im Garten viel zu viele
Geheimnisse vergraben, um daran zu denken, es zu verkaufen.
    Er wohnt seit zwölf Jahren hier. Elaine, seine betagte Vermieterin,
liegt seit elfeinhalb davon eineinhalb Meter tief unter der Erde. Manchmal
ertappt er sich dabei, wie er mit ihr spricht. Weiß eigentlich nicht warum.
    Sein Nachbar zur Linken ist ein Bankier mit einer jungen Familie; sie
sind zwei Jahre nach Elaines Tod eingezogen. Sie halten Henry für Elaines Sohn.
Henry ist das recht.
    Elaines wirklicher Sohn ist ein weiteres im Garten vergrabenes
Geheimnis.
    Die Nachbarn auf der rechten Seite sind Ausländer, wahrscheinlich
Araber; er sieht sie selten und hat noch nie mit ihnen gesprochen.
    Henry parkt, steigt aus, betrachtet den Morgen, öffnet dann die
hintere Tür des Wagens und greift hinein. Das Baby richtet seine schwarzen
Augen auf ihn.
    Sie ist überraschend warm. Sie ist mager und hat diese merkwürdige
dunkelviolette, an manchen Stellen fast knallrote Farbe.
    Henrys Hand ist dreckig, trägt noch Blutspuren, aber er hat nicht
daran gedacht, einen Schnuller mitzubringen. Also bietet er dem Baby seinen
Daumen an. Sie saugt ihn in ihren heißen, zahnlosen kleinen Mund. Unter einer
weichen, gummiartigen Schicht ist das Zahnfleisch überraschend fest. Das Gefühl
ist nicht unangenehm.
    Er hat beschlossen, sie Emma zu nennen.
    Er nimmt sie auf den Arm, hebt sie sanft vom Autositz hoch und hüllt
sie schön fest in die Decke. So wickelt man ein Baby ein.
    »Willkommen zu Hause«, sagt er. »Willkommen zu Hause. Möchtest du
dein Zimmer sehen? Ja, ganz bestimmt möchtest du das. Ganz bestimmt möchtest du
das, mein Kleines.«
    Henry ist erstaunt und seltsam gerührt, als er feststellt, dass er,
obwohl er leise redet und obwohl keine Gefahr besteht, belauscht zu werden, mit
dem Baby in dem brabbelnden, singenden Tonfall spricht, den man Babysprache nennt.
    »Willsudeinzimmersehen?«, fragt er und genießt es. »Ja ja ja? Ja und
wie du das willst! Ja und wie du dein Zimmer sehen willst! Ja!«
    Er trägt sie durch die Haustür in die holzgetäfelte Eingangshalle.
Natürlich ist sie altmodisch – Elaine war über achtzig, als Henry sie
erstickte. Sie hatte seit mindestens einer Generation nichts mehr renoviert.
Aber Henry gefällt die Eingangshalle ganz gut. Er findet sie zeitlos.
    Das Baby liegt in seinen Armen, saugt und kaut noch immer an seinem
Daumen. »Bist du hungrig?«, fragt er. »Bist du hungrig, mein Kleines? Ja,
dasbisu! Dubisein hungriges kleines Mädchen.«
    Er bringt sie auf ihr Zimmer, das schönste Zimmer des Hauses. Darin
stehen ein nagelneues Gitterbett von John Lewis , ein nagelneuer Wickeltisch mit Auflage von Mothercare .
Ihre neuen Kleider, viele noch mit Preisschildern versehen, hängen an einer
Chromstange. (Da ist noch eine zweite Stange mit Jungenkleidung, aber Henry
ignoriert sie. Wenn Emma schläft, wird er die Jungensachen wegbringen und
stillschweigend verbrennen. Im Keller gibt es einen Holzverbrennungsofen. Der
ist praktisch.)
    An der Wand hängen Drucke von Winnie Puuh und Ferkel. Henry hat den
Eichenboden gebohnert und poliert und hübsche Teppiche ausgelegt. Das Einzige,
was nicht neu ist, ist eine schmuddelige, einäugige, stellenweise kahle
Teddybärin. Sie heißt Mummy Bear. Sie gehört Henry.
    Er legt das Baby auf den Rücken. Die schrumpelige, violette Haut ist
mit Blut und anderen, ockerfarbenen Substanzen verschmiert. Aber Henry hat
gelesen, dass Babys nicht gerne sauber sind: Der Geruch von Schweiß und Scheiße
und Talg beruhigt sie. Also deckt er Emma gut zu und starrt mit tränenfeuchten
Augen auf sie hinab.
    Sie öffnet und schließt den Mund wie ein animiertes Alien. In ihren
ebenholzfarbenen Augen liegt ein seltsam außerirdischer Blick vollkommener
Weisheit. Sie hat eine perfekte Stupsnase mit feinen, kleinen Nasenlöchern, die
so rosa sind, dass sie schwach zu leuchten scheinen. Die zitternde Wut und das
Leid liegen in ihren heruntergezogenen Mundwinkeln, die Fäuste sind geballt an
den spindeldürren Armen. Und ihre krummen Beine! Komisch, dass ihre Mutter so
schöne Beine hat, während die des Babys geformt sind wie eine Wünschelrute! Er
vertraut darauf, dass sie noch

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