Luther. Die Drohung
dünne Mappe. »Der Kopf, den wir in dem besetzten
Haus gefunden haben. Die Besitzerin ist eine Chloe Hill.«
Luther schaltet den Wasserkocher ein, dann blättert er die Mappe
durch. »›Besitzerin‹«, wiederholt er. »Besitzen Sie Ihren Kopf?«
»Wie auch immer. Er gehört Ms Hill. Sie war neunzehn. Starb bei
einem Motorradunfall. Canvey Island.«
»Also hat er es nicht nur auf tote Mädchen abgesehen. Sondern auf
tote Mädchen und Motorräder. O Mann.«
»Ihr Grab ist geschändet worden«, sagt Lally. »Das war vor sieben
oder acht Monaten. Wir glauben, dass er sie entweder selbst ausgegraben oder
einen Freund dafür bezahlt hat, es für ihn zu tun.«
»Und wo ist der Rest von ihr?«
»Noch immer im Grab vermutlich.«
»Das können wir nur hoffen, was?«
»Soll ich eine Exhumierung anordnen?«
»Ja, bringen wir die Dinge in Gang. Das hat also nichts mit dem
Lambert-Mord zu tun?«
»Ich denke nicht, Chef.«
»Nennen Sie mich Boss.«
Luther massiert sich die Stirn, gibt ihr die Mappe zurück. Er will
gerade noch etwas sagen, als die Tür aufgerissen wird und Teller hereinstürmt.
»Hören Sie jemals London Talk FM ?«, fragt sie.
»Nein«, antwortet Luther. »Wieso?«
»Kommen Sie mit«, sagt sie. »Das hier wird Ihnen gefallen.«
Luther folgt ihr durch ein merkwürdig stilles und aufmerksames Großraumbüro
und fragt sich, was los ist.
Teller knallt ihre Bürotür zu, bedeutet ihm, zu schweigen und
zuzuhören.
Sie hackt mit einem Finger auf ihre Tastatur, um den Ton einer
gestreamten Radiosendung wieder einzuschalten.
»Pete«, sagt die Frau mit der Reibeisenstimme im Radio. »Ich flehe
Sie auf Knien an. Bitte. Ob das nun wahr ist oder nicht, Sie brauchen Hilfe.
Sie müssen sich bei den zuständigen Behörden melden.«
»Tom und Sarah Lambert haben meine Tochter sexuell missbraucht«,
sagt der Anrufer. »Sie waren nicht dazu geeignet, Eltern zu werden.«
Luther blickt zu Teller.
Sie reagiert nicht. Sie geht mit verschränkten Armen und gesenktem
Kopf im Büro auf und ab.
Luther senkt den Kopf. Schließt die Augen. Hört zu.
»Sie wirkten wie ein nettes Pärchen«, sagt der Anrufer.
»Sie waren kinderlieb. An einem Abend ließen wir sie auf unser kleines Mädchen
aufpassen …«
»Pete, ich muss Sie hier unterbrechen.«
»Okay. Schon klar. Ich meine nur, es gab Gründe.«
»Was immer Ihre Gründe waren«, sagt Maggie Reilly, »es geht hier um
ein hilfloses Baby. Also, wo befindet sich die kleine Emma jetzt?«
Luther formt lautlos die Worte: Emma? Seit wann?
Teller zuckt mit den Schultern.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortet Pete Black.
»Ein Neugeborenes muss ärztlich betreut werden, Pete. Das müssen Sie
doch wissen.«
»Sie ist gesund und munter. Sie ist glücklich. Sie ist ein sehr zufriedenes
kleines Baby. Sie ist wundervoll.«
»Sie wissen doch, dass Sie sie nicht behalten können. Sie müssen sie
den zuständigen Behörden übergeben.«
»Deswegen rufe ich an. Ich will, dass man sich gut um sie kümmert.
Ich will, dass sie zu einer liebevollen Familie kommt, die richtig für sie
sorgen kann.«
»Also was schlagen Sie vor?«
»Ich setze sie heute Nacht irgendwo ab. Bei einem Krankenhaus. Oder
sonst wo. Bei einem Kloster oder so.«
»Warten Sie nicht bis heute Nacht. Machen Sie es jetzt. Machen Sie
es, so schnell Sie können, Pete.«
»Ja. Aber ich brauche schon eine Absicherung.«
»Was für eine Absicherung? Von wem?«
»Von der Polizei.«
Teller stemmt sich gegen den Tisch. Jetzt kommt’s.
»Eine Absicherung welcher Art?«, fragt Maggie.
»Ich will, dass die Polizei mir vor ganz London verspricht, dass sie
mich Emma sicher absetzen lässt. Dass die Krankenhäuser nicht überwacht
werden.«
Teller verlassen ihre Kräfte, und sie setzt sich.
»Alles, was ich will«, sagt Pete Black, »alles, was ich will, ist,
dass die kleine Emma gesund und unversehrt bleibt. Die Polizei muss mir dabei
helfen. Ich ruf später noch mal an.«
Man hört ein Klicken, die Leitung ist tot.
Drei endlose Sekunden Funkstille.
»Okay, London«, sagt Maggie Reilly. »Zu Ihren Reaktionen kommen wir
gleich. Vorher machen wir direkt weiter mit den Nachrichten.«
Nach einer Weile fragt Teller: »Also, was halten wir
davon?«
Luther fährt sich mit den Händen übers Gesicht. Kratzen von Haut auf
Stoppeln.
»Er ist es.«
Es ist die Selbst-Rechtfertigung, die moralische Leere. Das
Kontrollbedürfnis.
Er reibt seine müden Augen. Schaut zur Decke.
»Heilige Scheiße«, sagt
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