Luther. Die Drohung
dass
Sie dadurch auch ihm helfen.
Noch einmal sage ich zu dem Mann, der sich Pete Black nennt: Wir
bitten Sie dringend, sich in Ihrem eigenen Interesse zu melden.«
Während er die Telefonnummern erneut herunterbetet, schweift sein
Blick über die Menge. Dann sagt er: »Keine Fragen zu diesem Zeitpunkt. Vielen
Dank.«
Er sammelt seine Blätter ein und verlässt die lautstark
protestierenden Journalisten, die schwenkenden HD-Kameras. Das leere
Facettenauge.
Im Korridor lehnt er sich an die Wand und schließt die Augen.
Er wartet, bis sein Herz sich beruhigt, die Übelkeit vergeht, die
Wut.
Julian Crouch wollte immer nur eins: ein Rock’n’Roll-Star
sein.
Sein Dad George war der Unternehmer – hauptsächlich Immobilien und
Gebrauchtwagen. Er machte das ganze Geld, heiratete mit achtundfünfzig eine
ehemalige Miss UK.
Das war Julians Mum Cindy.
George hatte den verruchten Brillantine-Look eines zweitklassigen
Filmhelden. George hatte einen Schneider in Soho und trug handgefertigte
Schuhe. Er behauptete, mit den Kray-Zwillingen Karten gespielt und mit Nipper
Reed Weihnachtskarten ausgetauscht zu haben. Er trank Whisky und rauchte
Zigarren und vögelte Soho-Nutten und wurde angeblich von allen geliebt, die
jemals ihre verfluchten Augen auf ihn richteten.
George war schon ein alter Mann, als Julian aufs London College of
Music ging, was George vehement ablehnte. Julian und George wechselten elf
Jahre lang kaum ein Wort.
Julian war dreißig, als bei George 1997, während eines langen
Wochenendes in Portugal, auf der Toilette ein tödliches Aneurysma auftrat. Er
las gerade die Daily
Mail , seine toten, behaarten Fäuste hielten sie fest umschlossen.
Damals wusste Julian bereits, dass er nie ein Rock’n’Roll-Star sein
würde. Er war zu alt. Aber seine geplatzten Ambitionen hatten sich neu
ausgerichtet: Er konnte immer noch eine Art Simon Napier-Bell werden, ein
Manager, ein Lebemann, ein Clubbesitzer, ein Unternehmer.
Also sprang er für George ein und übernahm die Familiengeschäfte.
Die Autos und die Immobilien liefen hübsch weiter, kümmerten sich im
Wesentlichen um sich selbst. Jenen Teil überließ er seiner Mum.
Er konzentrierte sich auf Tonstudios, Nachtclubs, Internetfirmen.
Und – das muss man ihm lassen – er machte ein Vermögen. 1998 investierte er in tookool.com ,
einen Onlineshop und Lieferservice für hippe Städter, den er dann schnell
wieder verkaufte.
Tookools größter Vorzug, die kostenlose Lieferung, erwies sich zugleich als sein Ruin.
Der Shop ging 2000 Pleite. Aber zu dem Zeitpunkt hatte Julian ihn schon
verkauft und damit an die zehn Millionen Pfund verdient. Nicht so viel, wie
eine Internetfirma hätte bringen können, aber auch nicht übel.
Das war in etwa Julians unternehmerische Glanzleistung. Im Lauf der
Jahre zerfiel eine Geldanlage nach der anderen in seinen Händen zu Staub. Dem
Tonstudio Merciless
Inc. gelang es nicht, auch nur einen einzigen größeren Künstler
anzuziehen, und so schloss es seine Tore 2004. Die Nachtclubs dümpelten so vor
sich hin, liefen mittelmäßig, waren nie wirklich angesagt.
Julian heiratete Natalie. Sie war keine Miss UK, und sie verursachte
mit ihrem Aussehen nie ein Verkehrschaos. Gelegentlich sorgte sie jedoch für
kleinere Staus.
Natalie lässt sich von ihm scheiden. Julian schätzt, dass sie ihn annähernd
zweieinhalbtausend Pfund pro Orgasmus kosten wird. Vermutlich waren die ersten
fünfzig Orgasmen das wert. Wahrscheinlich nicht genug, um eine Dose Red Bull zu
füllen.
Dann starb Cindy, und die Weltwirtschaft kippte, und das
Immobilienimperium begann unter seinen Füßen wegzubröckeln.
Irgendwo da drin lag eine biblische Metapher, irgendwas mit Sand,
aber Julian war zu sehr damit beschäftigt gewesen, nicht zu versinken, um sie
nachzuschlagen.
Er hatte es geschafft, das Scheitern der Nachtclubs und des
Tonstudios wegzustecken. Sein Timing war schlecht gewesen, das war alles.
Der schwindelerregende Zusammenbruch des Immobilienimperiums jedoch
war beängstigend.
»Kapital«, hatte George ihn gelehrt, »ist das, was man nicht
ausgibt.«
Julians Kapital war ausgegeben.
Und jetzt stehen Lee Kidman und Barry Tonga triefend in seiner
Eingangshalle, der Eingangshalle, die er in Kürze verlieren wird, wenn er
dieses Scheißreihenhaus in Shoreditch nicht an diesen protzigen Scheißrussen
aus Scheiß-Moskau-an-der-Themse verkauft.
Im Prinzip sind sie hier, um nach ihrem Geld zu fragen. Aber Julian
hört nicht richtig zu.
Sein Blick
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