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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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scrollt.
    Patrick ist unwillig, missmutig, möglicherweise verärgert wegen der
Prügel, die Henry vorhin ausgeteilt hat.
    Henry trifft seine Entscheidung schnell. Die Daltons. Gut
aussehender Vater. Traumhafte Mutter. Lebhafte, hübsche kleine Tochter.
    Eigentlich hatte er seine Entscheidung längst getroffen, bevor er
den Laptop aufklappte. Aber er mag das Gefühl von Feierlichkeit und einem
Ritual.
    Er schickt Patrick los, um alles vorzubereiten.

16
    Mit zweiunddreißig ist Caitlin Pearce nun schon seit fünf
Jahren bei den Samaritern – seit ein paar Monaten nach Megan Harris’
Selbstmord.
    Megan war keine enge Freundin, sondern einfach jemand, den Caitlin
aus der Uni kannte; sie sahen sich vor allem bei Hochzeiten und Geburtstagen,
ab und zu bei einem Junggesellinnenabschied, bei Dinnerpartys. Sie verbrachten
gemeinsam eine Woche in Faliraki als Teil einer Gruppe von sieben oder acht
Leuten.
    Caitlin hatte nicht einmal gewusst, dass Megan unglücklich war. Im
Gegenteil, sie hatte sie sogar ein wenig bewundert, denn Megan wirkte ebenso
sorglos, wie sie nett war.
    Nach der Beerdigung begann Caitlin sich zu fragen, ob Megan nicht
müde ausgesehen und sich zurückgezogen hatte bei einigen dieser ausgelassenen
Frauenabende. Vielleicht meldete sich da aber auch ihr Schuldgefühl. Caitlin
wusste, dass das Überlebenden-Syndrom nach einem Selbstmord Erinnerungen
verfälscht, dass Hinterbliebene nach Anzeichen suchen, die es vielleicht
einfach nicht gegeben hat.
    Eines Abends war Megan von der Arbeit nach Hause gegangen und hatte
eine Überdosis genommen. Ihre Mitbewohnerin fand sie am nächsten Morgen im
Bett. Acht Tage später saß Caitlin auf einer unbequemen Kirchenbank in
nagelneuer Trauerkleidung und nagelneuen Schuhen, die sie drückten. Und sie saß
benommen da und starrte auf den Sarg.
    Das Gefühl der dauerhaften, blitzartigen Veränderung traf sie hart,
die Tatsache, dass jemand einfach aus der Welt verschwinden, platzen konnte wie
eine Seifenblase.
    Es ließ die Welt weniger real erscheinen. Caitlin rutschte in etwas
hinein, was sie nun als eine schwache Form von Depression erkennt. Alles fühlte
sich an wie eine Filmkulisse; alle ihre Bekannten wirkten wie Schauspieler. Sie
sah durch das verregnete Fenster ihrer Wohnung im fünften Stock hinaus auf das
Londoner Stadtbild und dachte: Das sieht total realistisch aus.
    Nach ein paar trübseligen Monaten entschied sie, etwas dagegen zu
tun – etwas Gutes zu tun. Und hier ist sie nun, nimmt freiwillig in drei
Schichten pro Monat bei den Samaritern Anrufe entgegen.
    Jetzt gerade ist es 17.38 Uhr, und am anderen Ende der Leitung
schluchzt ein junger Mann. Als Caitlin fragt, worüber er sprechen möchte, sagt
er: »Es ist wegen meinem Dad. Ich will ihn umbringen. Verdammte Scheiße, ich
will ihn umbringen.«
    »Was an Ihrem Dad löst diese Gefühle bei Ihnen aus?«
    In der Leitung folgt ein langes Schweigen. Schließlich sagt der
Anrufer: »Er hat sich das Baby geholt. Emma. Das war mein Dad.«
    Abgedrehte Anrufe bekommt man ziemlich oft. Das eigene Bauchgefühl
sagt einem das ganz genau, aber man muss sie ernst nehmen – denn was, wenn man
sich täuscht?
    »Baby Emma?«, fragt sie.
    »Ich hab im Auto gewartet. Ich hab die Polizei gerufen, aber sie war
zu langsam. Emma war ganz lila und zappelig. Und dann ist sie krank geworden,
so richtig krank, und er wollte sie nicht ins Krankenhaus bringen.«
    Caitlin hat ihre Stimme unter Kontrolle. »Und wie haben Sie sich
dabei gefühlt?«
    »Abgefuckt. Total abgefuckt im Hirn. Ich will ihn umbringen.
Ehrlich. Es wär so viel leichter, wenn ich ihn einfach umbringen könnte.«
    Caitlins Hände sind kalt.
    »Es gibt da so eine Familie«, sagt der Anrufer. »Die Daltons. Er mag
sie.«
    »Was mag er an ihnen?«
    »Ihr kleines Mädchen. Sie haben eine Tochter. Er will, dass sie ihm
Babys macht. Er sagt, er hat’s noch nie mit einer Jungfrau versucht. Sie ist
noch klein. Sie ist erst elf.«
    Caitlin hat Angst vor dem Fliegen, und jetzt gerade hat sie dasselbe
Gefühl wie immer, wenn sie ein Flugzeug besteigt – als wäre ihr Blutzucker
abgestürzt. Ihre Hände und Füße sind kalt. Ihre Stimme ist schwach.
    Samariter benachrichtigen nie die Polizei, egal was ein Anrufer auch
sagt, das würde ihren Grundsatz absoluter Vertraulichkeit brechen. Und sie
dürfen prinzipiell keinen Rat erteilen. Aber Caitlin will keinen Rat erteilen,
sondern eine Anweisung.
    Ob der Anrufer nun die Wahrheit sagt oder eine seltsame

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