Luther. Die Drohung
Lehnstuhl mit ihrem eigenen Kopf auf dem
Schoß.
»Als hätte jemand mit Spielsachen gespielt«, sagt er. »Als hätte ein
beschissenes, bockiges Kleinkind die Puppen seiner Schwester in Stücke
gerissen. Dem Teddybären den Kopf der Barbie aufgesetzt. Der Puppe den Kopf des
Teddybären.«
Er schaudert in seinem Mantel. Er fragt sich, ob er nach Rauch
riecht. Hält es für sehr wahrscheinlich. Er scharrt mit den Füßen. »Wer sind
die Opfer?«
»Stephanie Dalton, Marcus Dalton, Daniel Dalton. Gabriella Magnoli.
So weit wir das beurteilen können, sind sie ziemlich perfekt. Mrs Dalton ist
Geschäftsfrau. Hat früher gemodelt. Er ist Architekt, gewinnt Preise,
unterrichtet, betreut Projekte. Angeblich heiß geliebt von den Studenten. Der
Sohn ist hübsch, will Schauspieler werden. Die Tochter …«
»Was ist mit ihr?«, fragt Luther.
»Was soll ich sagen?«, blafft Teller, verliert die Beherrschung. Sie
hat eine Tochter, die nicht viel älter ist als das vermisste Mädchen. »Sie ist
elf. Was gibt es sonst noch zu sagen?«
»Genau darum geht es, nicht wahr?«, erwidert Luther. »Sie sind
perfekt. Er beobachtet sie. Er ist neidisch. Er ist verbittert. Er begehrt, was
sie haben. Glück. Familie. Normalität.«
Luther spürt wieder Energie. Wärme in seinem Blut. Er fragt: »Pete
Blacks Sohn. Patrick. Wie alt ist er?«
»Zwanzig? Einundzwanzig?«
»Waren seine Fingerabdrücke gespeichert?«
»Nein.«
Luther lächelt. Er geht auf und ab. Er reibt sich über den Scheitel.
»Was?«, fragt Teller.
»Ich weiß nicht.«
»Doch.«
Jetzt lacht Luther. Wenn er einen Augenblick stehen bliebe, könnte
er Tellers Gesichtsausdruck sehen. Aber er streift mit raubtierhafter Gier
umher, klatscht in die Hände.
»John«, sagt Teller.
Er reibt sich den Kopf, geht im Kreis herum. »Boss«, verkündet er,
»ich muss etwas tun.«
»Dann los«, sagt sie. »Was?«
»Kann ich Ihnen nicht sagen.«
Er wartet geduldig. Man darf sie nicht drängen.
»Auf einer Skala von eins bis zehn«, fragt sie, »wie sehr will ich
nichts davon wissen?«
»Zwanzig.« Er kommt ihrem Protest zuvor. »Wenn ich den gesetzlichen
Weg gehe, wenn ich warte, bis Sie alles haargenau geprüft haben und mir
offiziell Ihr Okay geben, würde es Wochen dauern. Und ich muss das jetzt
machen. Das heißt heute Morgen. Und falls sich herausstellt, dass ich
falschliege, was nicht der Fall ist …«
»Und wenn doch?«
»Falls sich herausstellt, dass ich falschliege, wird die Hölle los
sein. Sie werden mich feuern müssen. Ein Sturm der Entrüstung wird losbrechen.«
Er muss noch einmal, noch länger warten. Schließlich fragt sie:
»Wird es uns helfen, das kleine Mädchen zu finden?«
»Ja.«
»Okay. Dann hauen Sie ab und tun Sie’s.«
Er nickt. »Wo ist Howie?«
»Auf dem Revier«, antwortet Teller. »Seien Sie nett zu ihr.«
Als Luther losgeht, klingelt Tellers Handy. Sie schaut auf das
Display.
DSU Schenk.
Sie drückt den Anruf weg, steckt das Handy ein. Will es nicht
wissen.
Lange Zeit denkt Mia, dass sie tot ist, denn es ist dunkel
und still, und sie kann nicht atmen.
Aber sie ist nicht tot. Sie liegt in einem Kofferraum. Sie hat
irgendwas über dem Mund. Sie kann die Hände und Füße nicht bewegen.
Sie weiß jedoch, dass ihre Mum und ihr Dad tot sind, denn der Mann
hat es ihr gesagt. Bevor er anhielt, um sie in den Kofferraum zu stecken,
drückte er sie einfach neben sich in den Fußraum und presste beim Fahren ihren
Kopf mit der flachen Hand nach unten.
Sie wimmerte nach ihrer Mum. Sie hatte Angst und ihr war kalt und
alles tat ihr weh und sie hatte so ein Gefühl im Bauch.
»Halt die Klappe mit deiner Mum und deinem verfickten Dad«, sagte
er, und sie hasste seine Stimme.
Sie weiß, dass er gefährlich ist, so wie der streunende Hund, der
ihnen folgte, als sie damals im Urlaub in Griechenland waren.
Er hatte einen komischen, geneigten Gang und einen gruseligen Blick.
Ihr Dad fürchtete sich vor ihm. Er hob Mia hoch und drückte sie ihrer Mum in
die Arme – sie war damals noch klein. Ihr Dad und ihr Bruder bückten sich am
Straßenrand und sammelten jede Menge Steinchen auf und warfen sie nach dem
Hund, bis er wegging.
Dieser Mann ist genau wie jener Hund. Er hat die gleichen
Speicheltropfen um die Lippen, die gleiche rasende Wut in den Augen.
Mia erinnert sich an die Selbstverteidigungsstunden, die sie in der
Schule hatte, damals, als die Frau von der Polizei da war und mit ihnen redete.
Wisst euren Namen, eure Adresse und
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