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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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Telefonnummer. Geht nicht allein
irgendwohin. Wenn ein Fremder euch anspricht, müsst ihr nicht antworten. Nähert
euch nie einem Fremden in einem Kraftfahrzeug. Geht einfach weiter.
    Wenn ein Fremder euch festhält, tut alles, was ihr könnt, um zu
verhindern, dass er oder sie euch mitnimmt oder in sein oder ihr Auto zerrt.
Lasst euch auf den Boden fallen, tretet, schlagt, beißt, schreit. Wenn jemand
euch wegzerrt, schreit: »Das ist nicht mein Dad.« Oder: »Das ist nicht meine
Mum.«
    Nichts davon hatte irgendwas genutzt. Mia hatte geschrien und
geschrien, und niemand war gekommen.
    Aber Mia weiß, warum. Er ist kein Fremder. Er ist der tollwütige Hund
in Griechenland. Er ist das Wesen, das manchmal in ihrem Kleiderschrank hauste,
das durch den Spalt in der Tür lugte, wenn die Lichter aus waren und Daniel in
seinem nach Käsefüßen stinkenden Zimmer schnarchte und Mum und Dad in ihr
großes Bett gekuschelt waren. Er ist kein Fremder, wie könnte er das sein? Sie
kennt ihn schon ihr ganzes Leben lang.
    Mia betet. Sie versucht etwas Vernünftiges zu sagen, Gott um etwas
Bestimmtes zu bitten; Dad hatte mit ihr darüber gesprochen, wie Gott Gebete
beantwortet. Er gab einem, was man brauchte , hatte Dad gesagt, was nicht unbedingt
dasselbe war wie das, was man wollte. So konnte man um ein Mountainbike beten,
aber das war vielleicht nicht das, was Gott einem geben wollte. Oder man konnte
beten, dass Melissa James mit ihren blöden Inlineskates hinfiel und sich den
Knöchel brach, aber das wollte Gott einem vielleicht auch nicht geben.
    Mia kann nicht glauben, dass Gott ihr das hier wünscht.
    Aber andererseits hat sie heute Nacht ihren Dad schreien gehört, und
obwohl sie nie zuvor jemanden sterben gehört hat, weiß sie, dass es das war.
Ihr starker und schöner Dad, der in Angst und Hilflosigkeit und unter Schmerzen
starb. Und sie ist ziemlich sicher, dass Gott auch das nicht gewollt haben
kann. Aber es ist passiert.
    Deshalb muss sie beten, aber sie ist verwirrt, und es kommt nichts
als: Bitte
Gott bitte Gott bitte Gott bitte.
    Es rast immer wieder in ihrem Kopf im Kreis herum wie ein Zug.
    Sie liegt zusammengerollt im Dunkeln, riecht den nassen Autoteppich.
    Unter gelblichem Licht ist die Serious Crime Unit randvoll
mit Personal in Uniform und Zivil.
    Schlecht riechende Männer und Frauen in Hemdsärmeln, Leute, die zu
Hause sein sollten, es aber nicht sind.
    Sie mustern Luther, als er vorbeigeht. Er spürt ihre Augen.
    Er bleibt an Howies Schreibtisch stehen. Sie hat die Schultern
hochgezogen, ist rot im Gesicht. Tut so, als hätte sie ihn nicht gesehen,
betet, dass er weitergeht.
    Er wartet, bis sie den Kopf wendet und ein gequältes Gesicht macht.
»Boss …«, beginnt sie.
    »Mir ist egal, was gestern Abend war«, sagt Luther. »Sie haben das
Richtige getan. Das Einzige, was mich interessiert, ist, ob Sie bereit sind,
jetzt mit mir zusammenzuarbeiten? Ab sofort. Oder muss ich mir jemand anderen
suchen?«
    »Nein«, sagt sie. »Tun Sie das nicht.«
    »Gut.«
    Er marschiert in sein enges, kleines Büro, das voll ist mit Bennys
Energy-Drinks und Sandwichpackungen.
    Howie folgt ihm, schließt hinter sich die Tür.
    »Ehrlich«, sagt sie.
    »Wir müssen nicht darüber sprechen.«
    »Ich fühle mich schrecklich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
    »Sie haben das Richtige getan«, sagt er noch einmal. »Belassen wir’s
dabei.«
    »Aber wenn ich nicht …«
    »Was?«
    »Hätten Sie ihn gefunden? Ich meine, bevor …«
    »Bevor er das getan hätte? Heute Nacht?«
    »Ja.«
    Er sieht ihr in die Augen. Einen grausamen Moment lang überlegt er, Ja zu sagen. Sie damit leben zu lassen.
    Er setzt sich. »Nein«, sagt er. »Ich glaube nicht. Ich hab’s
versucht. Ich hab’s wirklich versucht, aber ich glaube nicht, dass es mir
gelungen wäre.«
    Sie nickt. Sie weiß nicht, ob er die Wahrheit sagt.
    Luther auch nicht.
    »Wissen Sie«, sagt er. »Ich hatte einen Tunnelblick. Ich hatte den
Sinn für das große Ganze verloren. Sie haben recht: Ich habe jemanden
gebraucht, der mich aufhält. Sie haben mir einen Gefallen getan. Und es hat Mut
gekostet.«
    Er denkt darüber nach, Howie von Irene zu erzählen, einer alten,
längst verstorbenen Frau, die mumifiziert in ihrem Sessel gefunden wurde. Von
seiner jugendlichen Scham, aufgrund der er nicht widersprochen und seine
Vorgesetzten nicht zur Rede gestellt hatte wegen ihrer Witze. Wegen ihres
mangelnden Respekts.
    Er erzählt es ihr nicht. Er sagt nur: »Ich bewundere,

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