Lux Aeterna (German Edition)
von ferne konnte Jason in seinem Zimmer das Stimmengewirr hören. In seinen Gedanken spürte er eine Macht, die bei den früheren Versammlungen nicht da gewesen war. Unruhig lief der Fürst der Neuzeitvampire auf und ab wie ein Tiger in seinem Käfig, der dem Treiben da unten am liebsten Einhalt geboten hätte. Doch er beherrschte sich und hielt sich an Leanders Warnung. Selbst seine Gedanken schirmte er ab, damit ihn niemand von den Grenzgängern seine Gegenwart wahrnehmen konnte.
An der lauten Unterhaltung waren alle Grenzgänger beteiligt bis auf einen – Xavier Dantes hielt sich, wie gewohnt, ruhig im Hintergrund. Nur einmal blickte er irritiert nach oben, als hätte er irgendetwas entdeckt, doch dann hörte er weiter zu. Er beobachtete gerne, wohl wissend, dass er selbst das Serum nicht mehr brauchen würde. Für einen kurzen Augenblick trafen sich seine und Leanders Augen, Xavier lächelte ihm zu, aber der Halbengel fühlte, dass dieses Lächeln falsch war. Nie zuvor war ihm aufgefallen, welche Gefahr von diesem jungen Vampir ausging. Warum eigentlich nicht? So unscheinbar war dieser Junge wirklich nicht. Leander verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf. Jetzt galt es, wichtigere Probleme zu lösen.
Die Nacht löste sich auf und mit ihr auch die Versammlung. Es blieben nur drei Gäste, darunter Xavier Dantes. Dem Halbengel war dies zwar nicht recht, fürchtete er doch die Entdeckung von Jason, aber er wollte seine Gastfreundschaft auch nicht in Frage gestellt wissen. Er hoffte nur, dass seine Gäste nicht zu lange blieben.
* * *
Am späten Nachmittag des darauf folgenden Tages herrschte eine merkwürdige Stille im Haus. Das Gut schien wie verlassen. Ein leichter Regen fiel gegen die Holzläden, von denen immer noch einige geschlossen waren. Der graue Himmel tauchte das gelbliche, zweistöckige Haus in eine seltsam trübe Atmosphäre. Eine Katze lief eilig über den Hof zum Pferdestall.
Marias kleiner, alter Fiat 500 keuchte den langen, mit Zypressen gesäumten Weg zum Weingut hinauf. Der Wagen bestand größtenteils aus Rost und dem Rest schmutzigweißer Farbe. Sie kam zweimal in der Woche aus dem nahe gelegenen Dorf, doch niemals hatte sie den Hof so still erlebt bei ihrer Ankunft. In der Eingangshalle zog sie eilig den Regenmantel aus.
„Signore Leander!“, hallte ihre grelle Stimme durch das Haus.
Keine Antwort. Sie lief durch die unteren Räume und ging dann die Treppe hinauf. Dabei schimpfte sie leise in italienischer Sprache vor sich hin, denn die Unordnung im Wohnzimmer hatte ihr schon gezeigt, dass wieder Gäste da gewesen sein mussten. Sie klopfte an die Zimmertüren, die noch verschlossen waren, öffnete sie mit leichtem Zögern, doch es war niemand anwesend. Auch Leander selbst war verschwunden. Die aufgewühlten Laken und Kissen seiner Schlafstätte wiesen auf einen Kampf hin, doch für Maria war Unordnung in diesem Hause nichts Außergewöhnliches. Sie schüttelte nur immer wieder ihren Kopf.
Eine sanfte Stimme hinter ihr ließ sie plötzlich herumfahren.
„Es tut mir Leid, Maria, ich fürchte, wir beide sind zu spät gekommen!“
Es war Jason Dawn, der auch gerade erst zurückgekehrt war von einem nächtlichen Ausflug, denn er hatte es in seinem Zimmer nicht mehr ausgehalten. Als die Haushälterin den jungen Mann ansah, bekreuzigte sie sich wieder und eilte davon.
Jason blickte sich noch einmal sorgfältig in Leanders Schlafraum um. Ja, hier musste etwas vorgefallen sein, sonst hätte sein Freund ihm eine Nachricht hinterlassen. Leanders silbernes Blut konnte Jason nirgendwo entdecken. Er blickte aus Leanders Schlafzimmerfenster hinaus in den Regen, dachte nach. Welcher der Grenzgängervampire würde es wagen, sich an dem Atlanter zu vergreifen? Und vor allem, warum? Das Blut des Halbengels war tödlich für jeden von ihnen, außer für Jason selbst, denn er war damit wiedererweckt worden und somit immun. Oder sollte etwa noch ein anderer Fürst existieren, der es kräftemäßig mit dem Atlanter aufnehmen konnte? Unruhe erfasste ihn plötzlich. Vielleicht konnte einer der Teilnehmer an der letzten Versammlung ihm mehr erzählen. Er versuchte sich an die einzelnen Stimmen zu erinnern, die er gestern durch die Wände gehört hatte. Da war doch auch eine Frau dabei gewesen? Richtig, Isabella Dumont. Sie lebte in Paris und Jason machte sich unverzüglich auf den Weg.
Isabella war zu Zeiten von Toulouse-Lautrec eine der schönsten Tänzerinnen im Moulin Rouge
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