Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
von
Catherine fehlte jede Spur. Er hatte keine Ahnung, ob er darüber
erleichtert sein sollte oder nicht. Zumindest konnte es bedeuten, dass sie noch lebte, wenn er ihre Leiche hier nicht fand.
Ben griff nach seinem Handy und wählte noch einmal Catherines
Nummer. Vielleicht hatte er diesmal Glück. Nach wenigen Sekunden
ließ ihn ein Geräusch direkt hinter ihm erschrocken zusammenfahren.
Der Klingelton kam aus einem Gebüsch.
Oh nein, bitte nicht!, dachte er.
Er rannte durch den prasselnden Regen, ging in die Hocke und
durchkämmte das Buschwerk. Erleichtert stellte er fest, dass auch dort
kein Leichnam lag. Dafür fand er Catherines Handy, ergriff es und
überprüfte, ob sie ihm womöglich eine Nachricht hatte hinterlassen
können. Fehlanzeige. Enttäuscht steckte er das Telefon ein, als sein
eigenes unvermittelt klingelte.
»Ja?«
»Ciban hier. Haben Sie Catherine gefunden?«
»Nein. Nur ihr Handy. Es lag im Gebüsch.«
»Das ist ein gutes Zeichen. Dann lebt sie höchstwahrscheinlich noch.«
Ben glaubte unendliche Erleichterung in Cibans Stimme zu hören. Oder
projizierte er seine eigene immense Hoffnung auf den Kardinal?
»Aber wo ist sie?«, fragte er.
»Ich habe meine bisherigen Recherchen noch einmal überprüft und bin
mir nun ziemlich sicher, wer deRossis Hintermann und heimlicher
Mentor ist.«
»Sie wissen, wer der Drahtzieher ist?«
»Sehr wahrscheinlich ja. Kennen Sie Catherines Lieblingsort im
Vatikan?«
»Natürlich. Die Sixtina.«
»Wenn ich mich nicht irre, dann wurde Catherine von der Grotta zur
Sixtina verschleppt. Seien Sie vorsichtig, Ben, ich bin mir sicher,
deRossi und Catherine sind nicht allein. Ich bin auf dem Weg zu Ihnen.«
»Wer ist der Hintermann?«, wollte Ben wissen.
»Das erfahren Sie, sobald ich bei Ihnen bin.« Ciban unterbrach die
Verbindung.
Mist, dachte Ben, er konnte hier unmöglich tatenlos herumstehen und auf
den Präfekten warten. Er musste zur Sixtina. Sofort.
Er rannte los.
80.
Catherine stolperte benommen neben deRossi her, der sie fest am Arm
gepackt hatte und sie nicht eine Sekunde losließ. Was immer er ihr
injiziert hatte, machte sie irgendwie willenlos und beeinträchtigte ihren Gleichgewichtssinn. Sie torkelte neben ihm her wie in einem irrwitzigen
Alptraum, als wüsste sie, dass sie träumte, ohne aus dem Alptraum
ausbrechen zu können. Die dunklen Wände um sie herum wurden zu
seltsam deformierten, grotesken Tunneln, als führten sie zu einem
altägyptischen Grabmal. Ein plötzlicher Schwächeanfall zwang sie, kurz
stehen zu bleiben, doch deRossi packte sie nur noch fester und zog sie
rücksichtslos mit sich fort.
Catherine versuchte, die durch die Droge verursachte Willensschwäche
niederzuzwingen und zumindest in einem Winkel ihres Kopfes noch so
etwas wie Klarheit zu bewahren, doch die Nebelschwaden in ihrem
Bewusstsein ließen sie weiterhin wie eine Marionette neben dem
Monsignore herstolpern.
DeRossi hatte ihr Handy entwendet und es einfach in hohem Bogen
weggeworfen. Sie hatte also nicht einmal die theoretische Chance, Ben
oder Ciban zu informieren, sofern es ihr überhaupt gelang, ihren
Entführer loszuwerden. Jähe Müdigkeit überfiel sie, und es hätte nicht
viel gefehlt, und sie wäre vor Erschöpfung in die Knie gegangen. Wohin
schleppte deRossi sie eigentlich?
»Ich brauche eine kurze Pause, bitte«, sagte sie.
»Kommt nicht in Frage, Schwester. Es ist wichtig, dass Sie in Bewegung
bleiben, sonst schlafen Sie mir am Ende tatsächlich noch ein. Was Sie
gleich erleben werden, wird Sie für alles entschädigen. Glauben Sie
mir!«
Zu Catherines Verdruss legte deRossi sogar noch einen Zahn zu. Sie
passierten einen weiteren Tunnel, eine weitere Kammer. Je weiter sie in
dem unterirdischen Labyrinth fortschritten, desto mehr glaubte
Catherine, dass sie sich vom Vatikan entfernten. Brachte er sie etwa zur Engelsburg?
Eine Begebenheit aus ihrer Kindheit fiel ihr wieder ein. Jener Tag, als
Ben und sie das Institut verlassen und sich in den Laub- und
Nadelwäldern am Rande des südlichen Michigansees verirrt hatten. Es
hatte zwei Tage gedauert, bis ein Rangerteam, von Darius begleitet, sie
schließlich aufgespürt hatte, und das auch nur, weil Catherine sich an die Regel gehalten hatte, immer flussabwärts zu gehen. Flussabwärts …
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Tunnel, den sie gerade unter
deRossis barscher Führung entlangstolperte, flussaufwärts führte.
Schwankend, wobei
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