Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Ratgeber … wie soll ich
sagen … dunkle Energie ausstrahlt?«
Leo hatte den Kopf geschüttelt. »Ich spüre nichts dergleichen. Wie die
meisten Päpste vor mir, bin ich jedoch kein medial begabter Mensch.
Deswegen ist dieser Pakt für uns so wichtig.«
»Könnten Schwester Isabella, Pater Sylvester oder Pater Darius etwas
bemerkt haben?«
»Möglich. Sie waren alle drei medial hochbegabt. Worauf wollen Sie
hinaus, Marc?«
»Im Gegensatz zu mir kennt jedes Mitglied der Gemeinschaft sowohl das
Geheimnis als auch die Namen und die Aufenthaltsorte der anderen …
Ein Wissen, über das der Mörder zweifelsohne verfügt.«
»Ein Verräter? Ich bitte Sie!«
Cibans Augen hatten ebenso ruhig auf ihm geruht wie jetzt beim
Frühstück auf dem kleinen Antennengerät. »Ich fürchte doch.«
»Das glaube ich nicht«, hatte Leo abgewehrt. »Ich weiß, Sie halten nicht viel vom Lux Domini. Aber warum sollte eines der
Kongregationsmitglieder so etwas tun?«
»Warum hat Judas Jesus verraten, Heiligkeit?«, hatte Ciban trocken
festgestellt. »Was, wenn der Pakt diesmal nicht von päpstlicher Seite
gebrochen worden ist?«
Leo hatte geschluckt und zugeben müssen, dass dieser Gedanke weit
weniger abwegig klang, als ihm lieb war. Manchmal wünschte er sich,
Ciban wäre nicht ganz so pragmatisch. Andererseits, was hätte ihm ein
vertrauensseliger Mann an der Spitze der vatikanischen Sicherheit schon
genutzt?
»Noch eine Tasse Kaffee, Heiligkeit?«, fragte Massini und holte Leo
wieder in die Gegenwart des päpstlichen Speisezimmers zurück.
»Nein, danke, Corrado.«
Leo dachte über die möglichen Konsequenzen all jener Entscheidungen
nach, die er aufgrund der Ratschläge seiner persönlichen Kongregation
bisher gefällt hatte. Den geheimsten und einsamsten Entschluss hatte er
jedoch alleine seinem Tagebuch anvertraut. Nicht auszudenken, was
geschehen würde, wenn Traditionalisten wie die Kardinäle Gasperetti
oder Monti vorzeitig dahinterkämen …
Bei Gott, was, wenn Ciban Recht hatte? Was, wenn es innerhalb der
Kongregation tatsächlich einen Verräter gab? Dann konnte Leo seinen
Ratgebern womöglich nicht mehr vertrauen.
9.
Gegenwart, Flughafen München
Auch wenn Ben es nie offen zugegeben hätte, er mochte das Fliegen
nicht. Es bereitete ihm jedes Mal großes Unbehagen, wenn zwischen
seinen Füßen und Mutter Erde mehrere Kilometer Luft lagen und sonst
nichts. Dummerweise war das Fliegen nun aber die schnellstmögliche
Methode, um von einem Ort auf der Welt zu einem anderen zu gelangen.
So zum Beispiel von München nach Rom.
Am Flughafen München hatte er sich noch schnell eine bayerische
Spezialität gegönnt, während er auf das Boarding gewartet hatte. Zwei
Münchner Weißwürste mit einer Brezel und süßem Senf. Als Ire, dessen
Familie in die USA ausgewandert war, hegte er eine große Vorliebe für
ausländische Speisen. Ganz gleich, wohin ihn sein Job verschlug, er aß
dort wenigstens ein Traditionsgericht, wobei in Deutschland Münchner
Weißwürste, Sauerbraten und Bratkartoffeln zu seinen Favoriten
gehörten. Sie schmeckten wesentlich besser als die übliche
Flughafenkost. Und eines konnte er am allerwenigsten leugnen: Er
mochte das Weißbier dazu.
Als Ben im Anschluss an die Tatortbesichtigung mit Bruder Andreas
nach Rottach zurückgekehrt war, hatte er Darius’ persönliche
Habseligkeiten durchgesehen. Alleine hatte er in der Zelle des Paters
gesessen und die Kühle und Ruhe des kleinen, spärlich möblierten
Zimmers auf sich einwirken lassen. Dann hatte er den Raum
systematisch untersucht, bis er im Schrank auf eine kleine
unverschlossene Eichentruhe gestoßen war.
Die Truhe hatte nicht viel enthalten. Ein paar Briefe, ein paar Fotos, ein altes Taschenmesser, eine alte Uhr … und eine alte, in Leder gebundene
Bibel. Die Bibel hatte Darius als junger Mann zur Priesterweihe von
seinen Eltern geschenkt bekommen, und Ben hatte den schwarzen,
geschmeidigen Ledereinband mit den vergoldeten Kanten schon als
Junge so sehr bewundert, dass sein Mentor sie ihm damals versprochen
hatte. Ehrfürchtig schlug er das abgegriffene Buch auf und blätterte
darin.
Der Pater hatte nie von seinen Eltern erzählt. Manchmal war es Ben
vorgekommen, als fürchtete Darius, die beiden in Gefahr zu bringen,
wenn er sie auch nur erwähnte. Langsam blätterte er durch die Bibel. Die Seiten waren kaum dicker als ein Hauch. Zwischen dem Alten und dem
Neuen Testament fand er ein
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