Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
nämlich eine Baseballkappe und eine Brille und hatte die Kappe so
tief ins Gesicht gezogen, dass eine Identifizierung einfach unmöglich
war. Ansonsten lieferte das Band leider keine Anhaltspunkte, wie zum
Beispiel einen auffälligen Ring am Finger oder eine Armbanduhr.
»Vielleicht haben wir mit dem zweiten Band mehr Glück«, sagte Porter.
Er schien mit nichts anderem gerechnet zu haben. »Immerhin wissen wir
nun, dass er kein eindeutiger Rechtshänder ist. Achten Sie mal darauf, er unterschreibt zwar mit rechts, steckt die Papiere aber in die rechte
Innentasche seiner Jacke und rückt auch die Brille mit der linken Hand
zurecht.«
»Ein Linkshänder?«
»Sieht ganz so aus.«
Ben spulte das zweite Video vor. Es zeigte den Teil des Parkdecks, wo
die geländegängigen Wagen in Reih und Glied standen. Aber sie hatten
Pech. Der Fremde zog seine Kappe weder beim Einsteigen noch im
Fahrzeug aus. Er wusste ganz genau, was er da tat.
»Ich werde die Bänder mit ins Labor nehmen«, erklärte Porter
schließlich. »Sollte ich noch etwas darauf entdecken, lasse ich es Sie und Ihren Chef sofort wissen. Außerdem werde ich den Angestellten auf dem
Tape befragen. Wie es scheint, ist er heute nicht hier.«
»Seine Eminenz wird Ihnen zu großem Dank verpflichtet sein.«
Porters blaue Augen lächelten amüsiert. »Eigentlich bin ich derjenige,
der sich revanchiert, Pater.«
Sie traten aus dem kleinen Nebenraum auf den Flur und gingen zurück
zur Rezeption, wo Porter noch nach dem Mitarbeiter fragte, der an dem
bewussten Tag Dienst gehabt hatte.
»Eric Zander?«, fragte der Angestellte. »Tut mir leid. Den haben wir seit vorgestern nicht mehr gesehen. Er hat sich nicht einmal krank
gemeldet.«
»Das klingt gar nicht gut«, meinte Porter auf dem Weg zu seinem
Dienstwagen.
»Sie denken, der Täter hat den Mann von der Mietwagenfirma
umgebracht?«
»Wenn er etwas erkannt hat, das uns hätte weiterhelfen können?«
Ben schwieg. Wenn Darius’ Mörder tatsächlich auch den jungen
Angestellten beseitigt hatte, dann schien ihm ein Menschenleben
wirklich rein gar nichts zu bedeuten. Dann kamen Wörter wie Gewissen
und Mitgefühl in seinem Vokabular nicht vor. Als Kind hatte Ben einmal
in die Seele eines solchen Mörders geschaut. Er würde es nie vergessen.
Mr. Eliot verfolgte ihn heute noch.
»Ich werde der Sache nachgehen«, hatte Porter abschließend gesagt,
»und mich bei Ihnen melden, sobald ich etwas weiß. Grüßen Sie Seine
Eminenz von mir …«
Der Flughafenlautsprecher, der nun verkündete, dass das Boarding
begann, holte Ben wieder in die Gegenwart zurück. Er griff nach der
Reisetasche und seinen Vatikan-Papieren. Ein Teil seines Bewusstseins
dachte an die bevorstehende Flughöhe, und mit jedem Schritt in
Richtung Flugzeug bekam er weichere Knie. Doch dann erinnerte er sich
mit einem gewissen Glücksgefühl daran, dass er Catherine in Rom
wiedersehen würde, auch wenn ihr von der Glaubenskongregation
initiierte Besuch alles andere als ein erfreulicher Anlass war. Das
geplante gemeinsame Abendessen vor wenigen Tagen hatte er wegen der
Ermittlungen in Rottach absagen müssen. Jetzt würden sie es sicher
nachholen. In das Glücksgefühl drängte sich jedoch auch ein Hauch
Sorge, denn für Catherine lebte Darius noch. Der alte Pater hatte ihr
mindestens ebenso viel bedeutet wie ihm, doch Ben würde ihr vorerst
nichts von dessen Tod sagen dürfen.
Er verstaute sein Handgepäck in einem der dafür vorgesehenen Fächer,
zog vorher aber noch die Bibel des Paters aus dem Rucksack. Er musste
sich während des Fluges irgendwie ablenken. Während die Maschine
startete, blätterte er erneut durch die Bibel, betrachtete noch einmal die alte, verblassende Fotografie von sich, Darius und Catherine. Jener
Ausflug zum Sears Tower war ein halbes Leben her. So vieles war
seither geschehen.
Er blätterte weiter. Im Buch der Apostelgeschichte waren einige Zeilen
unterstrichen. Ben fing an, die markierten Passagen zu lesen.
Apostelgeschichte 4,20: »Denn wir können unmöglich schweigen von
dem, was wir gesehen und gehört haben.«
Apostelgeschichte 8,37: »Wenn du von ganzem Herzen glaubst, kann es
geschehen.«
Apostelgeschichte 17,28: »Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und
sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind ja
sogar von seinem Geschlecht.«
Apostelgeschichte, 26,31: »Dieser Mann tut nichts, was Tod oder
Fesseln verdient.«
Ben las weiter
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