Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Sylvester und Isabella.
Fehlanzeige. Keine Unfallmeldung. Nichts, außer einer Todesanzeige der
entsprechenden Orden.
Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, sich beim Lux Domini
einzuloggen, doch dann fiel ihr ein, dass ihr Passwort seit ihrem Austritt keine Gültigkeit mehr hatte, und sie war alles andere als eine Hackerin.
Sie würde Ben fragen müssen. Wenn überhaupt.
Also schaltete sie den Rechner wieder aus, legte sich aufs Bett und
versuchte noch einmal über alles nachzudenken. Doch noch ehe es ihr
auch nur halbwegs bewusst wurde, war sie vor Erschöpfung wieder
eingeschlafen.
28.
Rom, Vatikan, Apostolischer Palast
Monsignore Rinaldo wartete noch immer, den Umschlag in der Hand,
mit dem Privatsekretär des Papstes darauf, dass Kardinal Ciban das
Treffen mit Seiner Heiligkeit beendete und dessen Privatgemächer
wieder verließ. Während der Wartezeit hatte Rinaldo versucht, ein
Gespräch mit Massini in Gang zu bringen, doch der Sekretär gab sich
diesmal äußerst wortkarg, wirkte sogar irgendwie bedrückt.
Der junge Priester seufzte innerlich. Vielleicht hätte er doch besser im Palast der Inquisition auf den Präfekten warten sollen, anstatt hier wie bestellt und nicht abgeholt herumzustehen. Andererseits war der Inhalt
des Umschlags von äußerster Brisanz.
Rinaldo arbeitete seit fünf Jahren im Inquisitionspalast, seit zwei Jahren für Kardinal Ciban, und es verging kaum ein Tag, an dem es keine
unliebsamen Vorkommnisse gab. Der Palast bewachte nicht nur den
Stadtstaat Vatikan, sondern seit fast fünf Jahrhunderten die gesamte
römisch katholische Welt. Noch in den Sechziger Jahren des
zwanzigsten Jahrhunderts hatte über der Pforte eine Marmortafel mit der
Inschrift gehangen:
DIESES HAUS WURDE ERRICHTET ZUM KAMPF GEGEN DIE
HÄRESIE UND ZUR FÖRDERUNG DER KATHOLISCHEN
RELIGION.
Im selben Jahrzehnt war die Tafel zugunsten einer
populäreren Öffentlichkeitsarbeit auf Nimmerwiedersehen in einem der
unzähligen unterirdischen Kellergewölbe verschwunden, die dem
Vatikan als Rumpelkammern dienten. Der Wirkung des Gebäudes auf
die meisten Menschen hatte dies jedoch keinen Abbruch getan, auch
wenn die Zeiten, in denen zum Schutz des Glaubens verhört und
gefoltert worden war, längst vorbei waren.
Seit dem zwanzigsten Jahrhundert bewältigten die Mitglieder der
Glaubenskongregation, wie sich die römische Inquisition seit 1965
nannte, tagtäglich eine gigantische Menge an verdächtigem Lesestoff.
Meist sortierten Jungpriester, die vorübergehend von verschiedenen
Diözesen und religiösen Orden abgeordnet waren, die eingehende Post nach der Schwere der Anklage und leiteten sie je nach Rang in der
Befehlskette nach oben weiter.
Auch Rinaldo – er hatte in Kirchenrecht promoviert – hatte seine
Tätigkeit in der Glaubenskongregation aufgrund einer solchen
vatikanischen Arbeitszuteilung als Jungpriester begonnen. Er hatte im
Auftrag der Kongregation die Werke verdächtiger Theologen studiert,
die wichtigsten Unterlagen zusammengestellt und eine erste
Einschätzung jener Werke im Hinblick auf die katholische
Glaubenslehre entworfen.
Inzwischen war er zum Untersekretär Kardinal Cibans aufgestiegen und
hatte nebenbei einen Großteil der Aufgaben des alternden Sekretärs,
Seiner Exzellenz Erzbischof Tardini, übernommen. Es sprach nichts
dagegen, dass Rinaldo selbst eine eindrucksvolle Karriere innerhalb des
Vatikans bevorstand. Die Sache hatte nur einen Haken: Er war an einer
steilen Karriere überhaupt nicht interessiert, was Ciban, der gestrenge
Großinquisitor mit überraschend sanfter Ironie einmal so kommentiert
hatte: »Wissen Sie, Rinaldo, dieser noble Wesenszug hat auch Priestern
wie Angelo Roncalli, Albino Luciani oder unserem amtierenden Pontifex
nichts genutzt. Wir dienen der Kirche dort, wo sie uns braucht, und das
ist selten dort, wo wir ihr dienen wollen.«
Kurz darauf hatte der Leiter der Abteilung für die Glaubenslehre Rinaldo zum Untersekretär der Kongregation befördert. Er hätte Ciban nach
Leibeskräften verfluchen können – wenn der Bußaufwand nicht so groß
gewesen wäre –, aber mit der Zeit hatte er sowohl seinen Vorgesetzten
als auch die Verantwortung und die Aufgaben, die seine neue Position
mit sich brachten, zu schätzen gelernt. Selbst wenn Momente wie dieser,
in denen er das Gefühl hatte, ewig auf Seine Eminenz warten zu müssen,
ihn irgendwann noch den letzten Nerv kosten würden.
Rinaldo hatte die
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