Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Blick wanderte vom Schreibtisch zu den Regalen und
Aktenschränken hinüber. Er wollte sich gerade zu einem der Borde
begeben, als ihm auffiel, dass das Rollschubfach eines der
Aktenschränke nicht ganz geschlossen war, sondern einen guten
Zentimeter weit offen stand. Leise ging er auf den Aktenschrank zu, zog
die Schublade auf und leuchtete mit der Punktlampe hinein.
Mist!
Jemand musste das Fach in aller Eile vor ihm durchwühlt und dann keine
Zeit mehr gehabt haben, es richtig zuzuschieben. Ein Teil der Akten
fehlte. Das Fach unter »L« war komplett leer, und »L« konnte sowohl für
»Lux« als auch für »Lukas« stehen.
Das flaue Gefühl in Bens Magengegend kehrte schlagartig zurück.
Womöglich hatte er sich das Geräusch vorhin im Gang doch nicht
eingebildet. Womöglich befand sich dieser jemand, der das Fach gerade
durchwühlt hatte, mit ihm noch hier, in diesem Raum?
Ben atmete tief ein, schloss die Lade und entschied, so zu tun, als habe er nichts dergleichen bemerkt. Doch dann sah er noch einmal zum
Schreibtisch – und plötzlich dämmerte ihm, was ihn so irritiert hatte. Ein Kabelstrang hing seitlich von der Tischplatte herunter und wand sich bis zum schweren Teppich, doch nirgends war ein Computer zu sehen.
Genau in dem Moment, als ihm diese zweite Erkenntnis kam, nahm er
aus dem Augenwinkel wahr, wie jemand auf ihn zuraste. Etwas traf ihn
an der Schläfe – und er ging zu Boden.
26.
Es war stockdunkel, muffig, nasskalt und feucht. Bens Schädel brummte,
als wäre eine Horde Büffel darüber hinweggerannt. Er schmeckte
verkrustetes Blut. Als er die Hände zu den pochenden Schläfen heben
wollte, gelang es ihm nicht, weil er feststellen musste, dass seine Arme über dem Kopf in einer Schlinge gefesselt waren. Ebenso waren die Füße
zusammengebunden. Doch die Fesseln waren nicht alles. Er hatte das
dumpfe Gefühl, als läge er flach auf einer Folterbank.
Das flaue Gefühl im Magen schlug fast in Panik um, und er hatte Mühe,
den jähen Brechreiz zu unterdrücken. Dann erinnerte er sich wieder.
Benelli, die Villa, Benellis Büro …
Verdammt, er musste noch immer in der Villa sein. Vermutlich irgendwo
in den weitläufigen labyrinthischen Kellergewölben und Stollen, tief
unter dem Wohnbereich. Das Gebäude war auf den Grundmauern eines
weit älteren Anwesens errichtet worden. Ein einziges Mal hatte Ben mit
Ciban diesen Bereich während einer Recherche aufgesucht und war
dabei sogar über einige menschliche Knochenreste gestolpert wie in
einem unterirdischen Friedhof. Bei Gott, hier unten gab es in weiten
Teilen nicht einmal elektrisches Licht, geschweige denn, dass er nach
Hilfe hätte rufen können. Kein Mensch würde ihn hier unten hören.
Mit einem Male begriff Ben noch etwas ganz anderes: Er war in dieser
schieren Dunkelheit und Kälte nicht allein. Wie wild zerrte er an seinen Ketten.
»Sinnlos«, sagte eine dünne, eisige Männerstimme, und ein Hauch von
Licht erfüllte den Raum. »Wie Ihnen sicher bekannt ist, leitet sich das
Wort ›Tortur‹ aus dem Lateinischen ab. Es ist ursprünglich ein
medizinischer Begriff, ein Ausdruck für Schmerz und Qual. Die
Streckbank gilt dabei nur als eines der Mittel zur Wahrheitsfindung. In
Europa war sie vom Mittelalter bis zum beginnenden neunzehnten
Jahrhundert im Gebrauch. Diese Villa kann ein Lied davon singen.«
»Was wollen Sie von mir?« Bens Herz schlug wie wild, doch irgendwie
gelang es ihm, das Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten.
Die dünne, eiskalte Stimme trat näher, aber nicht so nahe, dass sie ein
Gesicht bekam. »Was haben Sie in Kardinal Benellis Arbeitszimmer
gesucht, Monsignore?«
»Was ist, wenn ich mit ›Nichts!‹ antworte?«, sagte Ben. Er fühlte sich
dabei nicht annähernd so heroisch, wie er tat.
Der Fremde trat hinter die Folterbank und zog mit dem Handhebelrad
das Seil leicht an. Ben spürte die Dehnung sofort im ganzen Körper, vor
allem aber in den Armen. »Ich wiederhole mich nur ungern: Was haben
Sie in Benellis Büro gesucht?«
Ben beschloss mit einer Gegenfrage Zeit zu gewinnen. »Warum haben
Sie den Computer Seiner Eminenz und die Akten entfernt?«
Der Fremde ließ sich mit seiner Antwort Zeit, wenn er überhaupt darauf
einzugehen gedachte. Doch schließlich erklärte er: »Können Sie sich
diese Frage nicht selbst beantworten?«
»Entweder Sie suchen etwas oder Sie wollen etwas vertuschen. Wer sind Sie?«
»Na, sehen Sie, da hätten wir doch gleich zwei
Weitere Kostenlose Bücher