Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
kurzem erst geweint haben. »Ich
… ja«, brachte er schwer atmend hervor.
Die Hand, die gerade noch die Spritze gehalten hatte, berührte ihn an der Stirn. Ben hatte augenblicklich das Gefühl, als schösse ein Energiestrom durch sein Gehirn und von dort durch den ganzen Körper. Er fing leicht
zu zittern an, hatte für einen Augenblick das Gefühl, mit seiner
Umgebung, dem ihn umgebenden steinernen Gewölbe, dem harten Holz
der Folterbank und der Hand zu verschmelzen. Die Droge wirkte noch
immer. Sie war ungemein mächtig.
»Können Sie mich sehen?«, fragte die Stimme ruhig.
Ben blinzelte. Da war ein schemenhaftes Gesicht, unscharf,
unbestimmbar. »Nein … nicht wirklich.«
»Wir müssen ihn in die Klinik bringen, Eminenz«, sagte eine andere,
jüngere Stimme. Auch sie war Ben vertraut. Doch sie war so diffus.
»Das wird nicht nötig sein. Wir waren noch rechtzeitig hier.«
Ben versuchte sich noch einmal aufzurappeln, und erneut drückte ihn
jemand geduldig zurück. »Ganz ruhig. Nicht zu viel bewegen, sonst wird
Ihnen noch schwindeliger, und Sie werden sich wieder übergeben.«
Wieder übergeben?
Die jüngere Stimme sagte leichthin: »Sie werden nur noch Galle
spucken.«
Als hätte Ben nur auf sein Stichwort gewartet, überkam es ihn auch
schon. Es war ihm unmöglich, den Brechreiz zu unterdrücken, und er
übergab sich direkt vor den beiden Männern. Danach fühlte er sich für
einen kurzen Augenblick etwas erleichtert.
Der Mann mit der tieferen Stimme tupfte ihm den Mund mit einem
frischen Taschentuch ab. »Fühlen Sie sich besser?«
Ben nickte vorsichtig. Er hatte keine Lust, noch einmal Galle zu
erbrechen. Schon gar nicht vor den beiden. Er berührte seine glühende
Stirn, lehnte sich zurück. Irgendwie funktionierten seine Augen und
Ohren nicht, jedenfalls nicht so, wie sie sollten. »Kann ich das
Taschentuch bitte haben?«
»Aber sicher.« Bei der Übergabe berührten die Fingerspitzen des Älteren
die seinen. Fast war es wie ein elektrisches Knistern.
Es dauerte noch eine halbe Stunde – zumindest behauptete die Stimme,
dass eine halbe Stunde bis dahin vergangen sei –, bis sich Bens Zustand
wieder halbwegs normalisiert hatte. Zuerst verlor das Gehör seine
extreme Überempfindlichkeit, dann die Augen, und er erkannte, wer
seine Retter waren.
»Wie – haben Sie mich gefunden, Eminenz?«
»Später. Jetzt bringen wir Sie erst einmal hinaus. Hier, eine frische
Soutane.«
»Aber das ist eine von Ihren.« Ben wusste, dass Ciban für den Notfall
stets eine kleine, gepackte Reisetasche in seinem Wagen hatte.
Manchmal verschwand der Kardinal für ein paar Tage, und niemand
wusste so genau, wohin.
»Ja. Und ich erwarte sie spätestens morgen zurück.« War da etwa ein
Anflug von Humor in der Stimme des Präfekten?
Ben nahm die Soutane von dem Kardinal entgegen – und da war es
wieder, dieses eigenartige Gefühl von knisternder Energie um die Finger
seiner rechten Hand, und das, obwohl sich ihre Hände lediglich kurz
durch den Stoff berührten. Er begegnete Cibans Blick, doch der schien
nichts dergleichen wahrzunehmen. Diese verfluchte Droge. Ben fragte
sich, wann die Wirkung dieses Teufelszeugs endlich nachlassen würde.
Er wechselte mit Hilfe Rinaldos die Kleidung und trank noch etwas
Wasser. Später hatte er kaum noch eine Erinnerung daran, wie er zurück
in seine kleine Wohnung in Trastevere gelangt war. Vermutlich hatten
sie ihn den größten Teil des Weges getragen und gefahren. Als er
jedenfalls am späten Nachmittag erwachte, saß Monsignore Rinaldo auf
einem Stuhl neben seinem Bett und las in einem seiner Bücher, Der
Heros in tausend Gestalten von Joseph Campbell.
»Tut mir leid«, entschuldigte Rinaldo sich mit einem schiefen Lächeln,
»aber ich musste Seiner Eminenz mein Wort geben, Sie nicht aus den
Augen zu lassen, bis Sie wieder bei sich sind.« Er reichte Ben ein Glas
kühles Wasser. »Wie geht es Ihnen?«
Ben trank das Glas in einem Zug leer. »Besch…eiden.« Sein Schädel
pochte, als säße ein schlagendes Herz darin. »Wie spät ist es?«
»Nach siebzehn Uhr. Sie haben ziemlich lebhaft geträumt.«
»Oh. Muss ich mich schämen?«
Rinaldo errötete leicht. Es war lange her, dass Ben einen erwachsenen
Mann hatte rot werden sehen. »Nein, nein«, beeilte sich der junge
Priester zu versichern. »Ich musste nur einige Male verhindern, dass Sie aus dem Bett fallen.«
»Ach so, danke. Ich hätte mir sonst wahrscheinlich noch
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