Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
zurück.
»Brauchen Sie noch etwas, Heiligkeit?«
»Nein danke, Corrado. Sie können sich zurückziehen. Versuchen Sie
noch etwas zu schlafen.«
Massini nickte. »Sehr wohl, Heiligkeit.«
Dann fiel sein Blick auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett. Auf
Leos Tagebuch. So nah und doch so fern. Es lag aufgeschlagen da, zeigte
eine frische, noch unbeschriebene Seite. Selbst in seinem
angeschlagenen Zustand hielt der Papst seine Gedanken darin fest.
Massini fragte sich, wo Leo das Tagebuch aufbewahrte, wenn er nicht
gerade etwas hineinschrieb. Ganz gewiss nicht in der Schublade des
Nachttischs.
»Soll ich das Buch noch wegstellen?«, fragte er voller Unschuld.
Leo schüttelte den Kopf. »Danke, nicht nötig. Ich will noch etwas
hineinschreiben. Nicht viel. Aber dann habe ich es wenigstens aus dem
Kopf und kann besser schlafen.«
»Dann eine angenehme Nacht, Heiligkeit. Schlafen Sie gut.«
»Gute Nacht, Corrado. Und nochmals danke für Ihre Hilfe.«
Massini nickte mit einem Lächeln. Dann verließ er das Zimmer und
schloss die Tür leise hinter sich.
Auf der anderen Seite der Tür atmete er tief durch und lehnte sich
dagegen, um seine Nerven zu beruhigen.
Er hatte versucht, mit Aurelio in Kontakt zu treten, um herauszufinden,
wer sein Erpresser war. Doch sein Freund – sofern er überhaupt noch
sein Freund war – war wie vom Erdboden verschluckt. Der Junge hatte
bisher auf keinen seiner Anrufe geantwortet, und die kleine Wohnung in
Monti, einem römischen Händler- und Handwerkerviertel, schien auch
nicht mehr bewohnt. Aurelio hatte weder auf Massinis Klopfen noch
Hämmern an der Tür reagiert, und die Nachbarin auf demselben Stock,
eine massige, blondierte Römerin mit Hochsteckfrisur, hatte schließlich
mit einem süffisanten Lächeln gemeint, der Gesuchte sei für eine Weile
verreist. In den Norden. Was immer das heißen mochte.
Hatte Aurelio ihn etwa doch verraten?
Massini verließ den Bereich der päpstlichen Privatgemächer und begab
sich in seine Wohnräume im Apostolischen Palast. In voller Montur ließ
er sich auf das Bett sinken und fragte sich, wie viel Zeit ihm noch blieb, bevor der Erpresser sich wieder meldete. Auch machte er sich, trotz der
seltsamen Andeutungen der massigen Römerin, Sorgen um Aurelio.
Schließlich fiel er in einen unruhigen Schlaf. Ein Teil von ihm dachte
noch, dass dies eine verdammt kurze und eine verdammt elende Nacht
werden würde. Ein anderer Teil von ihm sah den kleinen hölzernen
Nachttisch mit dem Tagebuch darauf. Und wieder ein anderer Teil fragte
sich, was Kardinal Ciban zu so später Stunde derart schwer erschüttert
hatte.
30.
»Ben …?«
Der junge Ermittler spürte, wie seine Augenlider sanft aufgedrückt
wurden. Er kannte die Stimme. Ja, er kannte diese Stimme. Es war nicht die des Fremden. Die unvermittelte schiere Helligkeit des Raums brachte
seine Augen zum Tränen und blendete ihn. Er hatte jede zeitliche
Orientierung verloren. Die Dunkelheit, die Folter und die Droge hatten
sie einfach in ihm hinweggespült. Dann hatte er das Bewusstsein
verloren. Er hatte versucht, bei Bewusstsein zu bleiben, doch sein Körper hatte einfach nicht mehr mitgemacht.
»Wasser.« Bei Gott, alles, an was er als Nächstes dachte, war Wasser. Er hatte solch einen unendlichen Durst.
Als hätte die vertraute Person seine Gedanken gelesen, hob sie seinen
Kopf vorsichtig an und flößte ihm einige Schluck Wasser ein. »Nicht so
hastig und nicht so viel«, hörte er die Stimme sagen. Dann wurde sein
Kopf sanft zurückgelegt.
Ben blinzelte in das Licht der Leuchte an der Decke, das ihn noch immer
blendete, und begriff, dass er zwar nicht mehr gefesselt war, aber noch
immer auf dem harten Untergrund der Folterbank lag. Er fühlte sich
benommen, auf seltsame Weise schläfrig, doch nicht mehr so benebelt
wie nach der Verabreichung des leuchtenden Teufelszeugs. Trotzdem
war noch immer alles verschwommen und verzerrt, als blicke er in eine
lebendige Farbfotografie auf Stahl und Acryl von Katharina Sieverding.
Dann bemerkte er die Spritze in der Hand des Mannes, das heißt, er sah
mehr das Aufblitzen der Nadel. Nein, keine weitere Injektion!
Verzweifelt bäumte er sich auf, wurde aber wieder sanft zurückgedrückt.
Dann glaubte er zu erkennen, dass der Kolben der Spritze bereits leer
war.
»Ben! Können Sie mich hören?«
Seine Muskeln brannten wie Feuer. Mühsam wischte er sich über die
Wangen. Sie waren nass. Er musste vor
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