Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
nach, was er aus Abel hatte
herausquetschen können. Trotz intensivster Befragung waren es nur
spärliche Informationen gewesen. Eigentlich hatte sich der Aufwand,
abgesehen vom Lustgewinn, kaum gelohnt. Andererseits hatte er durch
sein Eingreifen erfahren, dass Hawlett inzwischen auch Benellis
Todesfall in seine Ermittlungsarbeit einbezogen hatte, und das machte
deRossi durchaus neugierig. Ganz zu schweigen von dieser
»Lukas«-Sache, über die Abel ihm leider nichts hatte offenbaren können.
Der Meister wusste ganz sicher, was sich dahinter verbarg.
DeRossi atmete tief ein. Noch hatte er den Meister über seine
eigenmächtige nächtliche Aktion nicht in Kenntnis gesetzt. Wenn er die
Sache genauer betrachtete, gedachte er dies vorläufig auch nicht zu tun.
Sollte das Weichei Hawlett für ihn ruhig das Geheimnis um »Lukas«
lüften.
Der Monsignore bestieg den unauffälligen Wagen des indischen
Agenten. Da sein Flugzeug außerhalb der Hauptverkehrszeit gelandet
war, war der Chowringhee, die Hauptverkehrsader der City Kalkuttas,
nicht mehr ganz so verstopft, und so blieben ihm endlose, Staus
verursachende Blechlawinen mit nervenden Hupkonzerten und von
Menschen überquellende Bürgersteige erspart. Auch die unerträgliche
Hitze und Luftfeuchtigkeit schirmte der mit einer russischen
Klimaanlage ausgestattete Wagen bis zur Ankunft in dem klimatisierten
Hotel ab.
Während des Fluges hatte deRossi sich mit der Biografie Schwester
Silvias beschäftigt. Er studierte das Leben jedes Opfers mit fast
krankhafter Akribie. Und so hatte er sich Schwester Silvias Leben in
Kalkutta am Ende wie eine billige Hollywood-Verfilmung vorgestellt, in
der das Gute natürlich über das Böse obsiegte. Die Realität sah freilich anders aus.
In dem Film hatte Schwester Silvia auch Mutter Teresa persönlich
gekannt. DeRossi fragte sich, wie viel Wahrheit wohl in jenem
Exklusivinterview über Mutter Teresas Exorzismus steckte, das der
sizilianische Salesianerpriester Rosario Stroscio der italienischen Zeitung Oggi gewährt hatte. Ob Schwester Silvia Zeugin des Exorzismus’
gewesen war? Immerhin hatte sie über viele Jahre hinweg mit der
Missionarin in der Lepra-Kolonie Shanti Nagar gearbeitet. Wie es hieß,
waren die beiden Frauen sogar miteinander befreundet gewesen. Allein
der Gedanke an diese Freundschaft träufelte in deRossis Geist wie Säure
auf lebende Haut.
Im Hotelzimmer angelangt holte er noch einmal den Stadtplan von
Kalkutta hervor, obwohl er sich die relevanten Straßen und Viertel längst während des Lufthansafluges eingeprägt hatte. Shanti Nagar lag auf der
anderen Seite des Hugli, einem Mündungsarm im westlichen
Gangesdelta, umgeben von etlichen Slums. Er hatte sogar eine
Luftaufnahme der Kolonie und der Umgebung studiert. Natürlich würde
er Schwester Silvia nicht in der Lepra-Kolonie heimsuchen, das war viel
zu riskant. Dafür hatte er sich inzwischen ihre festen Gewohnheiten, ihre Hochs und Tiefs, ihre Vorlieben und Abneigungen und ihre Ängste
eingeprägt.
Doch es waren vor allem ihre Gewohnheiten, die dem Monsignore einen
guten Ansatzpunkt beschert hatten. So hielt Schwester Silvia seit ihrer
Zusammenarbeit mit Mutter Teresa an einer ganz besonderen
Gewohnheit fest: Noch immer besuchte sie regelmäßig, verlässlich wie
ein Schweizer Uhrwerk, die Armutshütten der Ärmsten der Armen, das
nahe Tangra und der Loreto-Schule gelegene Slum Motijhil, um mit
Medikamenten und Nahrungsmitteln auszuhelfen. Inzwischen verfügte
Motijhil über eine eigene Schule und eine kleine Kirche. In Letzterer,
inmitten der tiefsten Abgründe menschlichen Dahinvegetierens, würde
deRossi sie erwarten.
41.
Bens Tag hatte schleppend begonnen. Bis weit in den Mittag hinein hatte
er geschlafen, dann mit Rinaldo ein schlichtes, verspätetes Frühstück,
bestehend aus Weißbrot, Butter, römischem Käse und starkem Kaffee, zu
sich genommen und schließlich Catherines rätselhafte SMS gelesen.
»Gabriel war hier. Gruß, Catherine.«
Wie es aussah, hatte sie wieder einen ihrer verrückten Träume gehabt,
daher hatte er sie auf ihrem Handy angerufen. Doch leider war sie nicht
rangegangen. Also hatte er ihr seinerseits eine kurze Nachricht auf der
Mailbox hinterlassen. Danach hatte er noch einmal versucht, Abel zu
erreichen. Ebenfalls ohne Erfolg. Wie es aussah, war Abel erst sehr spät zu Bett gegangen und verschlief nun auch noch den ganzen Tag.
Nach dem Duschen und Ankleiden hatte Ben
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