Lux perpetua
noch? Vielleicht Geld? Vielleicht soll euch meine Frau auch noch Gefilte Fisch zubereiten?
Vielleicht wollt ihr euch ausschlafen und Ferien machen? Geht weg, ihr Goim.«
»Rabbi
. . .
«
»Se gehn nich? Se wolln, dass ich se segne? Schmul! Bring de Hakenbichse!«
»Rabbi Maisl«, Rixa senkte die Stimme und hielt die geballte Faust ans Fensterchen, »ich rate dir, mit der Hakenbüchse vorsichtig
zu sein. Ich bin Rixa Cartaphila de Fonseca. Ich trage den Ring des Wunderrabbiners Chalafta.«
»Ei-wei!«, kam es von drinnen. »Und ich bin der König Salomon. Und ich hab’ einen Ring, mit dem man Dschinns in Flaschen bannen
kann. Geht weg, ihr Agitatoren.«
»Nenne mich nicht Agitator, Rabbi«, zischte das Mädchen. »Ich bin Rixa Cartaphila de Fonseca. Ich glaube dir nicht, dass du
noch nie von mir gehört hast.«
»Nu, vielleicht hab’ ich gehert, vielleicht hab’ ich nich gehert.« Die Stimme von drinnen wurde etwas milder. »Zeiten sin
das, dass man weder den Augen noch den Ohren gläuben derf. Und schon gar nich Gerüchten. Geht in de Stadt. Guckt, was sich
da tut. Dann entscheidet: Derf e Jüd in solche Zeiten de Tür effnen? Nee, Mädchen, das den Ring von Rebbe Chalafta trägt.
Es is nich klug, wenn draußen nur noch Beeses is. Geht und guckt. Iberzeigt euch selbst. Ei, wenn ihr eine Tür hättet, wirdet
ihr se auch nich effnen.«
Die Straßen von Jauer waren seltsam menschenleer. Und still. In der Luft lag außer dem Gestank nach Mist und Aas etwas unbeschreiblich
Böses, etwas, dass sich einem die Haare imNacken sträubten und einem Schauer über den Rücken jagte. Etwas, das die Mehrzahl der Bewohner veranlasste, vorsichtshalber
im Haus zu bleiben.
Rixa fühlte sich wie zu Hause. Vom Markt bog sie in einen Durchschlupf ein, in dem ein großes buntes Schild den Weg zur Trattoria
»Zu Sonne und Mond« wies. Hier waren, anders als draußen, viele Menschen versammelt, es herrschte ein regelrechtes Gedränge.
Man konnte es zwar nicht genau sagen, aber Reynevan schätzte, dass etwa hundert Gäste die Schenke bevölkerten. Alle redeten
und schwatzten durcheinander, der Kopf schwirrte einem von dem ständigen Gelärme.
Rixa blickte sich aufmerksam um und schob sich dann schnell zu einer Ecke, in der ein grauhaariger Mann, der einen Filzhut
trug, dessen Rand eingerissen war, seinen Schnurrbart in einen Bierkrug tauchte. Rixa setzte sich neben ihn und stieß ihn
mit dem Ellenbogen an.
»Fräulein?«
»Grüß dich, Schlegelholz. Schon am frühen Morgen in der Schenke?«
»Die Seele tut weh«, der Graukopf wischte sich seinen Schnurrbart ab, »da muss man sie beruhigen
. . .
Die Zeiten sind schrecklich
. . .
Schrecklich
. . .
«
»Was ist los?«
»Eine Abscheulichkeit, eine ganz abscheuliche Sache ist geschehen. Wir müssen alle sterben
. . .
Vor der Seuche gibt es keine Rettung, keine
. . .
«
»Was ist denn?«
»Vor vier Tagen«, Schlegelholz nahm einen herzhaften Schluck Bier, »haben sie aus dem Brunnen bei St. Martin einen Schweinskopf
herausgezogen, dem die Haut abgezogen war. Und gleich darauf ist der Bäckersfrau Kunz das Kind gestorben. Es heißt, sie haben
das Wasser verseucht. Mit einer den Tod bringenden Seuche. Sie haben ein verseuchtes Schwein in den Brunnen geworfen.«
»Wer?«
»Wer, wer? Das weiß man doch, wer. Nun hat sich das Volk versammelt und berät. Ihr seht doch selbst, Fräulein.«
»Ich sehe es«, bestätigte Rixa und deutete auf einen Mann in einem geflickten Kittel, der eben auf die Bank stieg und von
dort oben den Versammelten bedeutete, still zu sein.
»Der Kerl da und seine Kumpane, was sind das für welche?«
»Fremde. Die sind erst vor Kurzem gekommen. Seltsame Leute.«
»Leute aus Jauer«, rief der Mann in dem geflickten Kittel, »ich meine, man kann nicht nur in die Grütze blasen, sondern euch
auch in die Suppe spucken! Ist euer Widerstandsgeist denn so schwach geworden? Eure Väter haben den Juden 1420 ein kleines
Pogrom beschert, und jetzt wär’s an euch, ihnen allen ein Ende zu setzen und keinen Einzigen übrig zu lassen! Und was macht
ihr? Sie vergiften euch die Brunnen, und ihr sitzt da und starrt trübselig in euer Bier? Was wollt ihr denn den verfluchten
Juden noch alles durchgehen lassen? Dass sie euch, wie sie es in Bautzen getan haben, die Hostien aus den Kirchen stehlen
und schänden? Dass sie eure Kinder verbluten lassen, wie es in Görlitz geschehen ist?«
»Vielleicht wartet ihr aber auch
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