Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
nicht auf den Reiter, sondern auf das Pferd. Der vom Bolzen getroffene schwarze Hengst bäumte sich auf und tobte,
     wobei er nicht nur seinen eigenen Reiter ab-, sondern auch noch die beiden Pferde neben ihm umwarf, was bei den anderen Reitern
     Verwirrung hervorrief und ihnen Gelegenheit gab, davonzujagen. Nun stürmten sie, den Pferden die Sporen gebend, hinunter ins
     Tal, in die Ebene, dorthin, wo sich die Hochstraße wie ein helles Band dahinwand. Grasbrocken wirbelten unter den Hufen in
     die Luft. Aber die Verfolger waren ihnen dicht auf den Fersen.
    »Adsumus ! Adsumus!«
    Aus einem Hohlweg ganz in der Nähe kamen weitere Reiter, fünf insgesamt. Sie kamen so nah heran, dass er erkennen konnte,
     dass einer von ihnen ein Mädchen war. Ich kenne sie, ich habe sie schon mal gesehen, dachte er. Er duckte sich im Sattel,
     gerade noch rechtzeitig, denn die Lanze streifte ihn an der Schulter.
    »Adsuuumuuus!«
    Unter dem Trommeln der Hufe gelangten sie zur
via regia
und setzten sich mit einem Wahnsinnsgalopp weiter ab. Die Reiter waren dicht hinter ihnen. Reynevan bemerkte entsetzt, wie
     sich einer von ihnen zur Spitze vorkämpfte, wie er dahinflog und sich sein Mantel wie Dämonenflügel blähte. Er wusste, wer
     das war. Er wusste es, noch bevor er ihn erkannte. Er drückte seinen Kopf in die Mähne seines Pferdes und jagte in wildem
     Galopp weiter. Rixa hinterher, deren schwarze Stute wie ein Hirsch dreinsprang. Obwohl sie sich schrecklich anstrengten, begannen
     die schwarzen Reiter zurückzufallen. Erst nur ein wenig, dann immer deutlicher. Sie blieben zurück. Aber sie gaben die Verfolgung
     nicht auf. Reynevan wusste, dass sie nicht aufgeben würden. Rixa wusste es auch.
    »Die Grenzstation!«, schrie sie gegen den Wind an. »Die Zollstation!«
    Er begriff. Der Kontrollposten in Thomaswaldau, den sie hatten umgehen wollen, konnte jetzt ihre Rettung sein. Eine Menschenmenge
     konnte sie retten.
    Aber von der Grenzstation waren sie immer noch ein gutes Stück entfernt. Und die Pferde, obwohl sie schnell waren und den
     schwarzen Reitern nicht erlaubten, den Abstand zu verringern, waren doch nicht aus Eisen.
    Reynevan spürte die Magie. Und hörte sie.
    Der Mauerläufer hob die Hand und stieß, ohne das Tempo zu verringern, einen Fluch aus. Reynevans und Rixas Pferde wieherten
     zur Antwort laut auf.
    Der Weg vor ihnen, die beidseits von Bäumen gesäumte
via regia
, die bis dahin so eben wie eine Tischplatte gewesen war, schien sich plötzlich aufzurichten. Dort, wo gerade noch alles flach
     und eben gewesen war, türmte sich jetzt eine Anhöhe auf. Endlos, steil.
    »Das ist eine Illusion!«, schrie Reynevan. »Ein Zauber! Das gibt es nicht!«
    »Sag das den Pferden!«
    Es hatte keinen Sinn, etwas zu sagen. Die Pferde wurden, alsdie Steigung begann, langsamer. Sie mühten sich bergan, aber sie schnaubten immer mehr und wieherten, Schaumfetzen flogen
     ihnen aus dem Maul. Hinter ihnen erklangen triumphierende Schreie.
    »Aufs Feld! Runter von der Straße und aufs Feld!«
    Sie bogen ab. Aber auch das Feld war kein Feld mehr. Es war ein Berg, anscheinend noch steiler als die Straße.
    Die Zeit ist reif, das Mittel der Verzweiflung anzuwenden, dachte Reynevan. Er nestelte unter seinem Wams an der Schnur, löste
     sie und den daranhängenden geäderten Stein mit dem Auge, das einem Menschenauge glich. Angeblich stammte es ja aus Kastilien,
     angeblich aus Burgos, erstanden hatte er es in der Liegnitzer Magiergasse. Drei Groschen hatte es gekostet. Und wahrscheinlich
     war es genauso viel wert.
    »Viendo , no vean!«,
rief er und presste das Amulett in seiner verschwitzten Hand, als wollte er es zerdrücken.
»Viendo , no vean!
Seitwärts, Rixa, seitwärts! Zum Wald! Reite zum Wald!«
    »Sie sehen uns! Sie werden uns umzingeln!«
    »Bieg ab in den Wald!«
    Das Unmögliche geschah. Das Unglaubliche und Unwahrscheinliche.
    Das Amulett reagierte auf den aktivierenden Spruch. Und begann zu wirken.
    Sie rasten auf den Wald zu, und hinter ihnen erschollen Rufe, Rufe der Verwunderung und des Unglaubens. Dann Wutgebrüll. Sie
     blickten nicht nach hinten. Die Köpfe in die Mähnen ihrer Pferde gepresst, galoppierten sie, so schnell die Tiere konnten.
     Erst der Wald, das Dickicht, ein Windbruch und vom Sturm gefällte Bäume verlangsamten und hemmten ihren Ritt. Und die Stille.
    »Sie haben uns nicht gesehen
. . .
« Rixa sog die Luft ein. »Sie haben uns wirklich nicht gesehen
. . .
Wir sind für sie unsichtbar

Weitere Kostenlose Bücher